Leichenfelder. Meine Mutter ist noch jung. Ihr Rock ist gekürzt.
Meine Großmutter hätte den Rock nicht gebilligt. Der Rock ist
zerdrückt und fadenscheinig, er ist aus einem schäbigen billigen
Stoff, einem Stoffersatz geschneidert, aus Brennesseln vielleicht,
eine Erfindung des Krieges und vom Krieg übrig geblieben. Die
grauen Zwirnstrümpfe meiner Mutter zeigen Löcher; einige sind
gestopft zum Stopfen der anderen reichte der Faden oder die Zeit
nicht. Die Sohlen meiner Mutter Schuhe sind durchgetreten, die
Absätze schief. Der Kragen und die Manschetten der Bluse meiner
Mutter sind schmutzig. Meine Mutter besitzt keine andere Bluse.
Manchmal wäscht sie die Bluse in der Waschschüssel auf dem Wasch-
ständer in ihrer engen Kammer; aber sie kann die Bluse nicht immer
waschen. Auch ihr entflieht die Zeit. Die Kunst beansprucht sie.
Es ist aber nicht die Kunst, es ist das Schicksal. Meiner Mutter
Gesicht ist bleich, die Haut gleicht der Haut auf geronnener Milch,
meine Mutter ist gejagt, sie ist am Stürzen, sie fühlt es, ist am
Ende. Der Tod steht hinter dem Baum, kein Freund, kein Feind, eine
Amtsperson, verknöchert. Meine Mutter hatte auf vielen Ämtern zu
tun vorzusprechen. Ihre Hand, die den Bleistiftstummel äber das
gelbliche Kanzleipapier führt und mich in die Verdammnis stossen
will, der sie nicht Herr wird, zittert. Meine Mutter sitzt in
einem Käfig. Der Käfig ist eng. Er hat drei Wände, und die drei
Wände schließen sie ein. Die vierte Wand fehlt. Die Luft in dem
Käfig fault nach Hobelspänen, nach Tischlerleim, nach roher Lein-
wand und scharfer Farbe, vor allem nach Staub. Die Luft dunstet
auch von heißen Füßen in für die Jahreszeit zu festen und zu lange
getragenen Schuhen. Der gepriesene Himmel der Badegäste ist nicht
zu sehen. Die schöne Ostsee ist auch nicht zu sehen. Vom Sommer
ist hier nur die Hitze da und fällt schwer in den Keller, den Käfig,
in dem meine Mutter sich nicht rühren kann. Eine Glühlampe glüht
grell und heiß über ihrer Stirn. Meine Mutter beugt sich aus dem
Käfig vor und flüstert; aber mit einem Flüstern, das ein flüsterndes
angestrengtes Schreien ist. Meine Mutter sitzt im Souflierkasten
des fürstlichen Putbuser Sommertheaters und liest laut den Klavier-
auszug und spricht scharf flüsternd den Text der lustigen Operette.
Die Sänger haben ihre Rollen nicht gelernt. Sie schwimmen, wie sie
es nennen. Stumme Fische. Stummes, staubbahniges, leimklebriges
Aquarium. Aus der Schau meiner Mutter gesehen, wen sie über den
Klavierauszug blickt, nur Füße und die Füße verstaubt und feucht
und arm. Erst wenn meine Mutter zu den Sängern aufsieht, beschwärend
das Wort ruft, das sehnlich erwartete, das lustige, diesmal voran
Meine Großmutter hätte den Rock nicht gebilligt. Der Rock ist
zerdrückt und fadenscheinig, er ist aus einem schäbigen billigen
Stoff, einem Stoffersatz geschneidert, aus Brennesseln vielleicht,
eine Erfindung des Krieges und vom Krieg übrig geblieben. Die
grauen Zwirnstrümpfe meiner Mutter zeigen Löcher; einige sind
gestopft zum Stopfen der anderen reichte der Faden oder die Zeit
nicht. Die Sohlen meiner Mutter Schuhe sind durchgetreten, die
Absätze schief. Der Kragen und die Manschetten der Bluse meiner
Mutter sind schmutzig. Meine Mutter besitzt keine andere Bluse.
Manchmal wäscht sie die Bluse in der Waschschüssel auf dem Wasch-
ständer in ihrer engen Kammer; aber sie kann die Bluse nicht immer
waschen. Auch ihr entflieht die Zeit. Die Kunst beansprucht sie.
Es ist aber nicht die Kunst, es ist das Schicksal. Meiner Mutter
Gesicht ist bleich, die Haut gleicht der Haut auf geronnener Milch,
meine Mutter ist gejagt, sie ist am Stürzen, sie fühlt es, ist am
Ende. Der Tod steht hinter dem Baum, kein Freund, kein Feind, eine
Amtsperson, verknöchert. Meine Mutter hatte auf vielen Ämtern zu
tun vorzusprechen. Ihre Hand, die den Bleistiftstummel äber das
gelbliche Kanzleipapier führt und mich in die Verdammnis stossen
will, der sie nicht Herr wird, zittert. Meine Mutter sitzt in
einem Käfig. Der Käfig ist eng. Er hat drei Wände, und die drei
Wände schließen sie ein. Die vierte Wand fehlt. Die Luft in dem
Käfig fault nach Hobelspänen, nach Tischlerleim, nach roher Lein-
wand und scharfer Farbe, vor allem nach Staub. Die Luft dunstet
auch von heißen Füßen in für die Jahreszeit zu festen und zu lange
getragenen Schuhen. Der gepriesene Himmel der Badegäste ist nicht
zu sehen. Die schöne Ostsee ist auch nicht zu sehen. Vom Sommer
ist hier nur die Hitze da und fällt schwer in den Keller, den Käfig,
in dem meine Mutter sich nicht rühren kann. Eine Glühlampe glüht
grell und heiß über ihrer Stirn. Meine Mutter beugt sich aus dem
Käfig vor und flüstert; aber mit einem Flüstern, das ein flüsterndes
angestrengtes Schreien ist. Meine Mutter sitzt im Souflierkasten
des fürstlichen Putbuser Sommertheaters und liest laut den Klavier-
auszug und spricht scharf flüsternd den Text der lustigen Operette.
Die Sänger haben ihre Rollen nicht gelernt. Sie schwimmen, wie sie
es nennen. Stumme Fische. Stummes, staubbahniges, leimklebriges
Aquarium. Aus der Schau meiner Mutter gesehen, wen sie über den
Klavierauszug blickt, nur Füße und die Füße verstaubt und feucht
und arm. Erst wenn meine Mutter zu den Sängern aufsieht, beschwärend
das Wort ruft, das sehnlich erwartete, das lustige, diesmal voran