MID355-M013-006

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MID355-M013
Absolute Datierung
-
Zuordnung
51
Kopie
nein
Durchschlag
nein
und in dieser Hinsicht von Fräulein Mannhard abhängig war, fand
ich ihren Anspruch auf Emanuels Treue lächerlich, ja daß er
sie überhaupt beachtet haben sollte, schien mir so unwahrschein-
lich, daß ich in ihren trübe schimmernden Augen Irrsinn zu lesen
glaubte, und der Klatsch über vielleicht nur ein von ihr, weil
sie ja wahnsinnig war, verbreitetes Gerüch. blieb. Fräulein
Mannhard gab mir meine Karte, und ich ging in das Foier. Der
Zuschauerraum lag hinter den offenen Türen wie eine dämmerige
Höhle da und versprach Zuflucht. Ich nutzte sie nicht. Ich war
nicht unschuldig. Ich war mir meines zerrissennn, meines
schmutzigenm meines einzigen Anzugs und ich stellte mich an den
sichtbarsten Punkt des Wandelsganges, wo meine so schäbige Ge-
stalt von drei Spiegelwänden multipliziert wurde und verachtete
die Theaterbesucher. Ich amusierte mich besonders über den Ober-
lehrer, der für die deutschnationale Zeitung, und über den ein -
fachen Lehrer, der für das sozialdemokratische Blatt die Thea-
terkritiken schrieb. Beide kamen sie mit ihrem Gemahlinnen ,
unter deren Gewalt sie standen, wie wandelnde Klassikerbüsten
aus grau gewordenem Gips herangeschritten. Beide waren ausge -
sprochene Dummköpfe und hatten den gleichen Geschmack, verehrten
auch beide Fräulein Damata, die Salondame, waren aufeinander
eifersüvitig und hatten irgendwie zuhause die Hölle, aber sie
meinten, verpflichtet zu sein, nach berühmten Berliner Vorbil-
dern gegeneinander polemisieren zu müssen, was zu den seltsamsten
geistigen Verrenkungen führte, denn da sie ja nicht wissen konn-
ten, was der andere sich diesmal ausdenken würde, führte sie ihre
Beschränkung dazu, oft dieselbe Meinung drucken zu lassen, die
nicht die ihre war, und die sie sich nur mühevoll zusammengebaut
hatten, um anderer Ansicht als der verachtete Gegner zu sein.