Die Universität ist für welchen Triumph gebaut? Der weltberühmte Gründer Stifter Erbauer: hier stock ich schon. Wie denn? Wo denn? Wer denn? Kein Hund in Teheran, kein Löwe im Wald, nicht einmal der gedemütigte Gefangene hinter Gittern in der schmutzigen Menagerie auf unserem Jahrmarkt, kein schwarzer Mann, kein gelber Bruder, nicht wer weiß wer in der neuen Welt nennt seinen Namen, und zu schweigen von den weißen Flecken, den buntgekleideten und den nackten Menschen, den Ungeheuern der Meere, der <79>Länder und der Lüfte auf Mercators oder Vissers Atlanten. Unnötig, fern zu schweifen. Wer nennt ihn hier, den weltberühmten Weisen? Nicht König, Ritter, Bauer, Bettelmann, vielleicht der Schneider seiner Anzüge, der Schuster seiner Schuhe, Bäcker seines täglichen Brots. Wohlfeil die Laudatio, kleine gängige Münze in der Gelehrtenrepublik. Anrüchiger Verein. Natürlich konnten sie stolz sein auf ihre feine Märtyrertafel: erschlagen, gesteinigt, gekreuzigt, verbrannt, mit Feuer und Schwert ausgerottet, in Verließe gesperrt, den Giftbecher gereicht, außer Landes gejagt. Für nichts, für Hirngespinste, eitle Mittagsträume, Fortschritt, Freiheit, Erkenntnis, Wahrheit, oder was sie dafür hielten. Er ist aber nicht eingebildet, er läßt sichs gern entgehen. Wes Brot ich esse, des Lied ich singe, untertan jedweder Obrigkeit, dem Himmel was des Himmels nach Anweisung des jeweils zuständigen Pontifex, des Landesherren Höchstdero Unterwertester. Also der weltberühmte Verfasser einer erbaulichen Chronik. Was meint er nur? Was beglückt ihn so, womit erbaut er? Im Anfang war Wüste und Finsternis, und es wurde Licht, und Adam begegnete Eva, Kain beneidete Abel. Tausend Jahre, Millionen Jahre. Lauter herrliche Siege, die Erde war ein flacher überschaubarer Teller, kreisend im Fruchtwasser der Herrlichkeit, nun eine Kugel, Stern unter Myriaden Sternen entthront aus der Mitte der Schöpfung; dies bis auf weiteres. Er aber steht fest, hier und jetzt, und fest steht auch, dort und jetzt, <80>schwer zu glauben, der Antipode. Zwei Philosophen in Pantoffeln oder in Schaftstiefeln, auch in Lackschuhen, Sohle gegen Sohle und zwischen ihnen der fliegende Erdball. Erstaunliche Äquilibristen! Moses gab es und den großen Aristoteles, den noch größeren Alexander und Nero und Vergil und Charlemagne, Petrus und die Stellvertreter und vielleicht noch Mohammed vom heiligen Grab bis Wien, von Buddha kam märchenhafte Kunde, Jesuitenklatsch, und irgendein Hutzliputzli reiste auf einem Schiff unter Wahnsinnigen und Gold. Bleibt der emsige Erforscher der Historie unserer lieben Heimat. Der bedeutende Mann wirft sich in den Staub, scharrt und kräht wie ein Hahn auf dem Mist und findet seinen Atlas pommerscher Vorgeschichte. Ein in jeder Hinsicht ordentlicher Professor. Wirklicher Geheimer Rat. Wer war töricht genug, ihn um Rat zu fragen, wirklich und geheim? Inhaber des Lehrstuhls. Hier steht er, klammert sich fest und kann auch anders. Stimmberechtigt in der Königlichen gelehrten Gesellschaft zu Kopenhagen oder Uppsala. Willkommene Aureole des Magiers aus dem Norden, polarlichtgeblendet, er schloß die Augen, stimmte nicht mit, doch ein, hatte kein Geld zu reisen. Korrespondierendes Mitglied, das die Briefe schuldig blieb oder nie Antwort bekam, der Royal Academy, London, des Institut de France, Paris. London, nie erfahren, nie gesehen, vielleicht Kant über London gehört. Kollege war auch nie da gewesen. Paris, Stadt der heiligen Könige, <81>Thron der großen Könige, der Bartholomäus- und anderer Nächte. Residenz der Sonne, Quartier der Hohen Schulen, Feuer des Aufstandes, Klause auch Pascals, aus der Traum. Dekan der Fakultät. Frucht der Jahre. Einmal selbst Magnifizenz. Es war Zeit. Sein Stehpult ist ihm nun zu hoch gerichtet. Über die Schulter blickt der Tod. Das lastet im Nacken, krümmt den Rücken. Oder war es das Leben, die stolze Laufbahn, erbärmliche Stipendien, winterkalte Stifte, das schwere Latein, der hungernde Studiosus, der kriechende Magister, die ersehnte Berufung, die kleine Anstellung? Auf wackligen Beinen halten sich Pult und Herr, der Autor und sein Knecht. Über ihnen wie berstende Regenwolken die vollgestopften Regale, Papier, Papier, die eigenen Schriften, die benutzten Bücher, die alten, die wiederholten Vorlesungen, die neu belebten, die aufgefrischten, schön gekämmten, glatt gebügelten Gedanken, Exzerpte auch, Zettelkästen, das beschlossene, erträumte, gemiedene, nie gewagte Werk, das große Fragen, die Entschleierung, die Zerstörung der Hoffnung, kein mildes Alter und Staub Staub und Staub. Er hat keinen sauberen Schlafrock an, lebt ja mißachtet im Haus, sein Ruhm blüht in den Annalen, vom Neid der Fachgenossen gepflegt, vom Spott der Schüler benagt, wie kleine scharfe Mäusezähne den Rand der Folianten zerfetzen, Mäusedreck hinterlassen, das Schlafgewand, das Arbeitskleid, heruntergekommene Kutte des Heiligen Benediktus ist speisenfleckig, notdurftverschmiert, <82>schnupftabakgebräunt, pfeifenglutversengt, eine Kappe deckt das ehrfurchtgebietende schüttere Haar, alter Duttel, sagen sie, und überall lugen die Geier, wetzen die Schnäbel, signalisieren den Würmern, die Seide der Kappe mit Blümchen bestickt zu Weihnachten oder zum Jubelfest von der Gattin, der dreißig Jahre lang bitter treuen, enttäuscht, ach, wovon, unverstehend, wie könnt es anders sein, oder von der Tochter, der zu ihm aufblickenden, die es graut, wenn sie sieht, in seinem Gesicht sieht, was sie wird, wie sie wie er wird, und der Vater bedeckt die Augen, denkt, sie wächst heran, das Kind, zwanzig Jahre, dreißig Jahre und der Dämmerung zu, dem Stift für die mittellosen Töchter gebildeter Stände, oder sie wird dem letzten Famulus endlich angetraut zu später Fortpflanzung, ein blasser ehrgeiziger Judas, dem auf die Leiter geholfen wird, mit Bücklingen und Winkelzügen und Selbstverleugnung in die Fakultät gebracht, der präsumtive Fälscher und Vernichter der literarischen Hinterlassenschaft, der natürliche Verräter der alten Koryphäe, doch vielleicht trägt der Meister noch die Perücke, den Zopf fritzisch gebunden, ferkelschwänzig, mehlpuderbestäubt, oder er ist schon mit dem Schlapphut, das Silberhaar schön gepflegt, glänzend in langen Locken, auf dem Weg zur Paulskirche, seiner Vollendung nahe, bald eine Spottfigur der Fliegenden Blätter, Herr oder nicht einmal mehr Herr eines vergessenen Regenschirms, Mut, Geduld, im Schrank warten schon <83>der Sedanfrack, die Reserveleutnantsuniform und all die Lakaienröcke seines erbärmlichen ordengeschmückten Niederganges. Die Decke des Zimmers drückt, wie eine schwere Hand, das Fenster ist klein, als koste das Licht Geld, vor den unterteilten Scheiben jedoch das Idyll der Laube, Jasmin und wilder Wein, so siehts das Gemüt, er hat keins, er haßt es, jede Stunde bleibt dunkel, bei Sonne im Schatten des Turms von Sankt Nikolai, bei Nebel im Schleier der See, in der Waschküche der Welt, im Steckkissen der Schöpfung. Homer schaut dem Professor zu, sein blindes Haupt auf die Estrade gesetzt, oder ist es Perikles, der gepriesene Staatsmann mit dem Helm? Unsere schwache alte Hand klammert sich doch energisch an das rettende Pult, während die andere zitternd begeistert die Säule zeichnet, wir messen auch mit dem Zirkel, rechnen mit dem Winkelmaß, nach einer klassischen Vorlage, dem zerstörten Tempel von Athen oder einem geborstenen Bogen vom Forum, lateinische oder griechische Schrift. Schimmel frißt sie. Auf der Wiese hinter der Laube hängen sie die Wäsche auf, Gattin, Tochter, Magd, vielleicht eine und dieselbe Person, vom Pflaumenbaum zum Apfelbaum, seine Hemden, Galeerenlumpen, Mönchsbinden, Kragen von spanisch-katholischer Weltfrömmigkeit, humanistischer Frivolität, lutherischer Reform, calvinischer Strenge, ignazischer Schläue, dann Jakobinerjabots, Fichtemoden, Hegelschleifen, Turnvatertrikots, Metternichpolster, Vater<84>mörder, küraßsteife Regierungsbrüste, angstschweißaufsaugende Jägerhemden, dazu den Zylinderhut für das berühmte Kolleg über die deutschen Kaiser als Vollstrecker des Schöpfungswillens und der römischen Weltreichsidee, warme Unterhosen jedoch für die Ausflüge ins Moor, den Fundstätten unserer germanisch-wendischen Knochen, und ferner die haushälterisch geflickten Laken, die mütterlich gestopften Bezüge zur nächtlichen Erquickung, er ruht allein, ein Professor für sich in der Nestwärme aus Schweiß und vergehendem Fleisch der allmählichen Auflösung der Gattin, vom ersten Tag war Verwesung, von der Stunde der Erkennung, er sah nicht hin, nicht in den eigenen Leib, wie die Zeit ihn fraß, nachts kam der Geist, kam mit der Eule der Minerva, kam aus dem Tempel der Diana von Ephesus, Hierodulen gaben sich hin, dem Fremden, auch dem Vertriebenen, selbst noch dem Träumenden, er blieb, beharrte im Traum Ehre sei Gott in der Höhe, war nur ein Käuzchen, das schrie, kiwitt, der Knochenmann, oder die Ideen kamen, die Geburt der Nation, das Volk stand auf, aber der Sturm brach nicht los, das flammende Schwert züchtete für Thron und Altar, das Eingemachte harrte im Keller in Gläsern und Töpfen, daß einer krank werde, von der Seilerbahn raspelt die Winde des Seilers, ihr Toten in den Gräbern in Etrurien, vom Hanfflechter geführt, in der Unterwelt beschützt, und der Maurer kommt und holt den Plan und mischt den weißen Sand und den bindenden Kalk, und <85>der Zimmermann zimmert das Gerüst und die Form und den Sarg, am Mittag riecht die Stadt nach Bratflundern, am Abend nach Räucherfisch aus Susemihls Laden, Colonialwaren, ff. Delikatessen, und das Geld reicht nicht, und die Stadt wird müde des Erhabenen, die Stadtväter sagen, mit allem Respekt, zwei Säulen sind genug, Cäsar und Alexander sind nicht vergessen in Greifswald, doch der schwere Giebel, der Sarkophag aus Quadersteinen, das Hünengrab, das nichts enthält als die umschlossene Leere oder die Sage vom großen Ahn, lastet zu den Seiten des Tores schwer auf den wahren Trägern, den unscheinbaren gedrungenen grauen Sockeln aus gemeinem Lehm.