MID355-M023-052

Wolfgang Koeppen: „Jugend. Prosa“, Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart 14.11.1969.

Archivmappe
MID355-M023
Absolute Datierung
-
Zuordnung
5 Publikation: "Jugend" (SDR 1969)
Kopie
ja
Durchschlag
nein
- 14 -
Feetenbrinks Konzerthaus war ein Palast in der Hunnen-
strasse, einstöckig wie die anderen Gebäude, aber eine
lange Front, die abends erleuchtet wurde wie gewöhnliche
Häuser nur zu Kaisers Geburtstag mit Siegerkranz und
Wonnegans und Kerzen in den Fenstern. Das Konzerthaus war
der Stolz und die Schande der Hunnenstrasse, es gab ihr
Glanz und Dunkelheit. Alle beobachteten, wer zu Feeden-
brink ging. Nicht nur alte Weiber hockten hinter den
Fensterspiegeln, diesen wie Periskope oder Polypenaugen
auf die Strasse hinausgestreckten Spionen und registrierten
was anfiel, speicherten die Daten, jederzeit bereit, sie
wieder auszuspucken, bleich entrüstet, neidgrün verfärbt,
frühe Elektronengehirne.
Die Gutsbesitzerwagen fahren vor, ich bewundere sie, ich
streiche drumherum, offenen Mundes, Lack funkelt, Leder
spiegelt, Schmiere salbt brunnenschwarz die Naben der
Räder, es näßt es dampft es glänzt der Pferde Fell, der
Hausknecht präsentiert eine unsichtbare Standarte, alter
Königinkürassier, wenn er den Namen Pasewalk nennt oder
hört, die Stadt in der er diente, in der man ihn klein-
kriegte, in der er stramme weiße Hosen trug, sieht er
wie der Trompeter von Thionville aus, wie die Attacke von
Mars-la-Tour, und ich denke an Pasewalker Spritzkuchen,
süß leicht und fettig wie eine schwere gezuckerte Luft,
meine Mutter schwärmt von ihnen, aus Pasewalk kommt nichts
Böses, der Hausknecht nimmt die Zügel die ihm gnädig zuge-
worfen werden, er weiß, was erfreut, Herr Rittmeister
Herr Hauptmann Herr Oberst Baron von und zu und auf
Klüttegrütt, der Gast, der Gast geehrt, ein breiter Rücken,