MID355-M020-095
Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.
jh - 8-
Die Sohlen meiner Mutter Schuhe sind durchgetreten, die Absätze
schief. Der Kragen und die Manschetten der Bluse meiner Mutter
sind schmutzig. Meine Mutter besitzt keine zweite Bluse. Manchmal
wäscht sie die Bluse in der Waschschüssel auf dem Waschständer
in ihrer engen Kammer bei des Fischers Frau, der Fischer, zum Butt
geschickt, blieb im Skagerrak, aber meine Mutter kann die Bluse
nicht immer waschen. Auch ihr entflieht die Zeit. Die Kunst
beansprucht sie. Es ist aber nicht die Kunst, es ist das Schicksal.
Meiner Mutter Gesicht ist so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und
so schwarz wie Ebenholz, erstarrt und zerschrunden wie die Haut
auf Dr. Oetkers Götterspeise aus entrahmter Milch, meine Mutter
ist gejagt, sie ist am stürzen, sie fühlt es, ist am Ende. Der Tod
steht hinter dem Baum, kein Freund, kein Feind, eine Amtsperson,
verknöchert. Meine Mutter hatte auf vielen Ämtern vorzusprechen.
Ihre Hand, die den Bleistiftstummel über das gelbliche Kanzlei-
papier führt und mich in die Verdammnis stoßen will, der sie nicht
Herr wird, zittert. Meine Mutter sitzt in einem Käfig. Der Käfig
ist eng. Er hat drei Wände, und die drei Wände schließen sie ein.
Die vierte Wand fehlt. Die Luft in dem Käfig west nach Hobelspänen,
nach Tischlerleim, nach roher Leinwand und scharfer Farbe, vor
allem nach Staub. Die Luft dunstet auch von heißen Füßen in für
die Jahreszeit zu festen und zu lange getragenen Schuhen. Der
gepriesene Himmel der Badegäste ist nicht zu sehen. Die schöne
Ostsee ist auch nicht zu sehen. Vom Sommer ist hier nur die Hitze
zu spüren und fällt schwer in den Keller, den Käfig, in dem meine
Mutter sich nicht rühren kann. Eine Glühlampe glüht grell und
heiß über ihrer Stirn. Meine Mutter beugt sich aus dem Käfig vor
und flüstert; aber mit einem Flüstern, das ein flüsterndes
angestrengtes Schreien ist. - - -
Die Sohlen meiner Mutter Schuhe sind durchgetreten, die Absätze
schief. Der Kragen und die Manschetten der Bluse meiner Mutter
sind schmutzig. Meine Mutter besitzt keine zweite Bluse. Manchmal
wäscht sie die Bluse in der Waschschüssel auf dem Waschständer
in ihrer engen Kammer bei des Fischers Frau, der Fischer, zum Butt
geschickt, blieb im Skagerrak, aber meine Mutter kann die Bluse
nicht immer waschen. Auch ihr entflieht die Zeit. Die Kunst
beansprucht sie. Es ist aber nicht die Kunst, es ist das Schicksal.
Meiner Mutter Gesicht ist so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und
so schwarz wie Ebenholz, erstarrt und zerschrunden wie die Haut
auf Dr. Oetkers Götterspeise aus entrahmter Milch, meine Mutter
ist gejagt, sie ist am stürzen, sie fühlt es, ist am Ende. Der Tod
steht hinter dem Baum, kein Freund, kein Feind, eine Amtsperson,
verknöchert. Meine Mutter hatte auf vielen Ämtern vorzusprechen.
Ihre Hand, die den Bleistiftstummel über das gelbliche Kanzlei-
papier führt und mich in die Verdammnis stoßen will, der sie nicht
Herr wird, zittert. Meine Mutter sitzt in einem Käfig. Der Käfig
ist eng. Er hat drei Wände, und die drei Wände schließen sie ein.
Die vierte Wand fehlt. Die Luft in dem Käfig west nach Hobelspänen,
nach Tischlerleim, nach roher Leinwand und scharfer Farbe, vor
allem nach Staub. Die Luft dunstet auch von heißen Füßen in für
die Jahreszeit zu festen und zu lange getragenen Schuhen. Der
gepriesene Himmel der Badegäste ist nicht zu sehen. Die schöne
Ostsee ist auch nicht zu sehen. Vom Sommer ist hier nur die Hitze
zu spüren und fällt schwer in den Keller, den Käfig, in dem meine
Mutter sich nicht rühren kann. Eine Glühlampe glüht grell und
heiß über ihrer Stirn. Meine Mutter beugt sich aus dem Käfig vor
und flüstert; aber mit einem Flüstern, das ein flüsterndes
angestrengtes Schreien ist. - - -