MID355-M020-050
Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.
IS - 10 -
ich klettere die drei Steinstufen hoch, tapse durch die offene
Tür, bin der dicke Gutsbesitzer im Pelz oder in Nanking, atme
Bier und Rauch, höre nun lauter das Klavier, heller das Lachen,
schärfer die Rede, die Treppe führt steil empor, ein roter Läufer
bedeckt sie, der rote Läufer weist den Weg, ich strenge mich an,
ich krieche höher, der Läufer ist rauh, der Läufer schrammt die
Hände und die Knie, im ersten Stock hängt die Kokosnuß, eine
Alabasterleuchte von Palmenblättern umrankt, der Gang ist
schummerig‚ er dunstet, er brodelt, er wärmt wie der Stall, aber
das Tier das hier wohnt ist kein Pferd, das kitzelt die Nase wie
in Dehmels Barbiersalon, scharf nach Seife, nach Blumen die
getrocknet im Familienalbum liegen unter Verwandten unter Toten
unter Leuten die irgendwer kannte und deren photographisches
Abbild man entgegennahm und aufbewahrte und die man sich nicht
mehr vorstellen kann, auch nach Blumen die zu lange in der Vase
im Wasser gestanden haben, ekel nach gestocktem Blut, eine Tür
wird spaltbreit geöffnet, Licht sticht, Stoff fällt zurück, ein
Arm blüht weiß, die Frau zieht mich herein, sie hat an das Fenster
gepocht, sie hat mich gelockt, sie trägt ein Gewand wie ich es
noch nie gesehen habe, das Kleid einer Königin oder eine Fee, es
scheint aus lauter Spitzen und Federn zu sein, ein bunter Vogel
stelzt vor mir, flattert, schlägt die Schwingen, sprengt die
Kammer, das Haar der Frau leuchtet wie eine blonde Sonne, Rapunzel
aber mit einem Harlekinsgesicht, rotweißverschmiert, die Augen
teerpfützenblau, die Brauen steinkohleschwarz , ihre Brust ist
wie ein Bett, zwei hochgeschüttete Pfühle, ein Schutz in kalten
Nächten, die Stimme jubiliert, - - -
ich klettere die drei Steinstufen hoch, tapse durch die offene
Tür, bin der dicke Gutsbesitzer im Pelz oder in Nanking, atme
Bier und Rauch, höre nun lauter das Klavier, heller das Lachen,
schärfer die Rede, die Treppe führt steil empor, ein roter Läufer
bedeckt sie, der rote Läufer weist den Weg, ich strenge mich an,
ich krieche höher, der Läufer ist rauh, der Läufer schrammt die
Hände und die Knie, im ersten Stock hängt die Kokosnuß, eine
Alabasterleuchte von Palmenblättern umrankt, der Gang ist
schummerig‚ er dunstet, er brodelt, er wärmt wie der Stall, aber
das Tier das hier wohnt ist kein Pferd, das kitzelt die Nase wie
in Dehmels Barbiersalon, scharf nach Seife, nach Blumen die
getrocknet im Familienalbum liegen unter Verwandten unter Toten
unter Leuten die irgendwer kannte und deren photographisches
Abbild man entgegennahm und aufbewahrte und die man sich nicht
mehr vorstellen kann, auch nach Blumen die zu lange in der Vase
im Wasser gestanden haben, ekel nach gestocktem Blut, eine Tür
wird spaltbreit geöffnet, Licht sticht, Stoff fällt zurück, ein
Arm blüht weiß, die Frau zieht mich herein, sie hat an das Fenster
gepocht, sie hat mich gelockt, sie trägt ein Gewand wie ich es
noch nie gesehen habe, das Kleid einer Königin oder eine Fee, es
scheint aus lauter Spitzen und Federn zu sein, ein bunter Vogel
stelzt vor mir, flattert, schlägt die Schwingen, sprengt die
Kammer, das Haar der Frau leuchtet wie eine blonde Sonne, Rapunzel
aber mit einem Harlekinsgesicht, rotweißverschmiert, die Augen
teerpfützenblau, die Brauen steinkohleschwarz , ihre Brust ist
wie ein Bett, zwei hochgeschüttete Pfühle, ein Schutz in kalten
Nächten, die Stimme jubiliert, - - -