MID355-M020-034

Wolfgang Koeppen: „Jugend. Prosa“, Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart 14.11.1969.

Archivmappe
MID355-M020
Absolute Datierung
-
Zuordnung
45 44 Publikation: "Jugend" (SDR 1969)
Kopie
ja
Durchschlag
nein
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Hier lag ein Hünengrab. Ein Fuchs fand sein Fleisch.
Oder ein Eber. Er war ihnen zu mager.
Er lag im Wald verscharrt, bis sie ihn ausgruben und auf den
Seziertisch der Anatomie legten, auf die ekle Gummidecke,
auf die nasskalte feuchtschnauzige Haut eines Frosches,
auf das algenglatte schneckenschleimige gänsefrostweckende
geschundene Kleid einer Schlange oder eines anderen Reptils,
vor dem ihm gegraust hatte wenn sie die Kröte oder den
Salamander oder die Blindschleiche in seine Schulmappe
getan hatten, und das Gelächter dann als er nach dem Ge-
schichtsbuch gegriffen, die Siege, die Niederlagen, die Köni-
ge und all die Erschlagenen, der Institutsdiener konnte das
Tuch mit einem Strahl aus dem Wasserleitungsschlauch ab-
spülen wie er die Hinrichtungsstätte in einem Zuchthaus
abspritzte, seine Nebenbeschäftigung, nach dem Urteil, nach
dem Gebet, nach der Exekution, die nach den wohl ausgedachten
Regeln der kaiserlich-republikanischen Hinrichtungsordnung
geschah, feierlich und unsagbar schäbig, nach einem Protokoll
wie beim Besuch von Majestäten, nicht von Präsidenten, blank
gebürstete Zylinderhüte waren der Gattinnen Stolz, belebten
Erinnerungen an den Traualtar und das legitime Bett und
die Hoffnung auf ein honoriges Begräbnis, Orden zeigten,
daß man wer war und daß man nichts war, nur daß man oben saß
und mächtig blieb und allen Feinden trotzte, den Vorgesetzten
ein Diener, oder doch teilhatte an der Macht, zumindest,
sie trugen urgemein erzverschlagene gründlich habgierige
verlogene Gesichter, spritzt ab das Blut, spült fort die
Leibesnot, hinweg mit dem schüchtern im Hals würgenden Mit-
leid und ins stinkende chlorende Abflußrohr das Gebot, du
sollst nicht töten,