18.3.1963
Klavierauszug einer lustigen Operette, auf und auf
dem abgegriffenen verschmierten Klavierauszug liegt
ein Bogen gelblichen Kanzleipapieres, den meine Mut-
ter irgendwo gefunden hat, und sie schreibt mir: ver-
hungere, ich kann Dir nicht mehr helfen, wenn Du Dir
nicht hilfst. Auf den Parkwegen promenieren die Kur-
gäste, weil sie dazu hergekommen sind. Die Röcke der
Frauen sind nun kurz, sie enden gleich unter dem Knie,
das ist neu, eine Errungenschaft des Verfalles, und
die alte Fürstin von Putbus macht die Mode nicht mit,
ihre Röcke, Oberrock und Untergewänder, fegen noch im-
mer den Sand, hinterlassen eine deutliche Spur ihres
Vorüberschreitens wie einst in Potsdam im EhrenDienst der
Kaiserin, der 1 1 sie ging wie Auguste Viktoria, 2 2 auf den kaiserlichen Photographien ging die hehre Frau, oder an ihrem Hof in Peterhof oder im Winterpalais oder im Sommerpalais die Zarin die tot ist, verschlungen unter von einem Ungeheuer das unter dem Schnee ausgebrütet wurde war oder in jeder Hütte oder am Hof der Zarin,
die ist tot, von einem Strudel verschlungen, und die
Männer zeigten noch Würde, trugen sie erhobenen Hauptes
hochbehütet, kragensteif, über den Bauch goldgekettet
und alles Unaussprechliche unter Schwalbenschwänzen
und Rockschössen wie in einen Sack gesteckt, so schrit-
ten sie aufrecht auf ihre Zukunft zu, die unglaublich
fern, unerkennbar, in einem stolzen blendenden Licht
das Grab verbarg, die grossen Leichenfelder. Meine
Mutter ist noch jung. Auch Rock ist gekürzt. Meine
Grossmutter hätte den Rock nicht gebilligt. Der Rock
ist zerdrückt, er ist aus einem schäbigen billigen
Stoff, er ist aus einem Stoffersatz geschneidert, aus
Brennesseln vielleicht, einer Erfindung des Krieges
Klavierauszug einer lustigen Operette, auf und auf
dem abgegriffenen verschmierten Klavierauszug liegt
ein Bogen gelblichen Kanzleipapieres, den meine Mut-
ter irgendwo gefunden hat, und sie schreibt mir: ver-
hungere, ich kann Dir nicht mehr helfen, wenn Du Dir
nicht hilfst. Auf den Parkwegen promenieren die Kur-
gäste, weil sie dazu hergekommen sind. Die Röcke der
Frauen sind nun kurz, sie enden gleich unter dem Knie,
das ist neu, eine Errungenschaft des Verfalles, und
die alte Fürstin von Putbus macht die Mode nicht mit,
ihre Röcke, Oberrock und Untergewänder, fegen noch im-
mer den Sand, hinterlassen eine deutliche Spur ihres
Vorüberschreitens wie einst in Potsdam im EhrenDienst der
Kaiserin, der 1 1 sie ging wie Auguste Viktoria, 2 2 auf den kaiserlichen Photographien ging die hehre Frau, oder an ihrem Hof in Peterhof oder im Winterpalais oder im Sommerpalais die Zarin die tot ist, verschlungen unter von einem Ungeheuer das unter dem Schnee ausgebrütet wurde war oder in jeder Hütte oder am Hof der Zarin,
die ist tot, von einem Strudel verschlungen, und die
Männer zeigten noch Würde, trugen sie erhobenen Hauptes
hochbehütet, kragensteif, über den Bauch goldgekettet
und alles Unaussprechliche unter Schwalbenschwänzen
und Rockschössen wie in einen Sack gesteckt, so schrit-
ten sie aufrecht auf ihre Zukunft zu, die unglaublich
fern, unerkennbar, in einem stolzen blendenden Licht
das Grab verbarg, die grossen Leichenfelder. Meine
Mutter ist noch jung. Auch Rock ist gekürzt. Meine
Grossmutter hätte den Rock nicht gebilligt. Der Rock
ist zerdrückt, er ist aus einem schäbigen billigen
Stoff, er ist aus einem Stoffersatz geschneidert, aus
Brennesseln vielleicht, einer Erfindung des Krieges