MID355-M008-016

Wolfgang Koeppen: „Jugend. Prosa“, Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart 14.11.1969.

Archivmappe
MID355-M008
Absolute Datierung
-
Zuordnung
5 Publikation: "Jugend" (SDR 1969)
Kopie
ja
Durchschlag
nein
- 16 -
bin der dicke Gutsbesitzer im Pelz oder in Nanking, atme
Bier und Rauch, höre nun lauter das Klavier, heller das
Lachen, schärfer die Rede, die Treppe führt steil empor,
ein roter Läufer bedeckt sie, der rote Läufer weist den
Weg, ich strenge mich an, ich krieche höher, der Läufer
ist rauh, der Läufer schrammt die Hände und die Knie,
im ersten Stock hängt die Kokosnuß, eine Alabasterleuchte
von Palmenblättern umrankt, der Gang ist schummerig, er
dunstet, er brodelt, er wärmt wie der Stall, aber das
Tier das hier wohnt ist kein Pferd, das kitzelt die Nase
wie in DehmeIs Barbiersalon, scharf nach Seife, nach
Blumen die getrocknet im Familienalbum liegen unter Ver-
wandten unter Toten unter Leuten die irgendwer kannte
und deren fotographisches Aibdld man entgegennahm und
aufbewahrte und die man sich nicht mehr vorstellen kann,
auch nach Blumen die zulange in der Vase im Wasser ge-
standen haben, ekel nach gestocktem Blut, eine Tür wird
spaltbreit geöffnet, Licht sticht, Stoff fällt zurück,
ein Arm blüht weiß, die Frau zieht mich herein, sie hat
an das Fenster gepocht, sie hat mich gelockt, sie trägt
ein Gewand wie ich es noch nie gesehen habe, das Kleid
einer Königin oder einer Fee, es scheint aus lauter Spitzen
und Federn zu sein, ein bunter Vogel stelzt vor mir,
flattert, schlägt die Schwingen, sprengt die Kammer, das
Haar der Frau leuchtet wie eine blonde Sonne, Rapunzel
aber mit einem Harlekins Gesicht, rotweißverschmiert, die
Augen teerpfützenblau, die Brauen steinkohleschwarz, ihre
Brust ist wie ein Bett, zwei hochgeschüttete Pfühle, ein
Schutz in kalten Nächten, die Stimme jubiliert,