Satzvorlage Seite 105
Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „In meiner Stadt war ich allein“, in: Ders.: Romanisches Café. Erzählende Prosa, Frankfurt/Main 1972, 86-98.
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einer mich sehen könnte, vermummt in mein Plaid, und
daß er erzählen würde, da war ein Gespenst in der Nacht,
es spukte auf unserem Friedhof. Ich war sehr gern ein
Gespenst.
Am Morgen litt ich Frost. Ich wusch mich unter dem schla-
genden Strahl einer Pumpe und trank ihr eiskaltes Wasser.
Ich hatte Hunger. Der Tag graute. In einem Bäckerladen
brannte ein freundliches Licht. Der warme Geruch von
frischem Brot drang ins Freie, und die Frau des Bäckers
stand behaglich mit bloßen Armen hinter dem Tisch. Ich
wollte kein Bürger sein, aber ich war nicht befreit von
den Vorurteilen meiner Erziehung. Ich schämte mich so
sehr, um eine Semmel zu betteln, daß ich in der Backofen-
wärme des Ladens zitterte und schwieg. Die Bäckerin sah
mich lange an, deutete dann auf ein Plakat, das neben
ihr hing, und sagte, Sie sind vom Theater. Die Semmeln
lagen frisch und knusprig in einem Korb und waren mir
nah. Ich hätte sie greifen können. Ich sagte, ich inszeniere.
Ich sagte es hochmütig. Ich sagte, »Gas«. Ich sagte, von
Kaiser. Diese Antwort, oder wie ich sie gab, schien die
rundliche, gutmütige Frau zu erschrecken. Es war, als ge-
wahrte sie erst jetzt meine außerordentliche Erscheinung,
einen Jungen, verfroren, hungrig, mit überlangen Haaren
und schwarz angezogen wie ein geistlicher Herr. Und wenn
die Bäckerin mich eben noch in wohlwollende Verbindung
mit dem Theaterplakat gebracht hatte, der Werbung für
die »Königin der Nacht«‚ der Operette, in der ich so
erfolgreich debütiert hatte, erkannte sie nun in mir, ge-
warnt durch die Wörter »Gas« und »Kaiser«‚ eine ganz
andere Nachtgestalt, vermutlich des Irrsinns. Sie streckte
abwehrend ihre bloßen Arme, wich gegen die Wand, formte
den Mund zum Schrei, während ich, brennend, errötend,
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einer mich sehen könnte, vermummt in mein Plaid, und
daß er erzählen würde, da war ein Gespenst in der Nacht,
es spukte auf unserem Friedhof. Ich war sehr gern ein
Gespenst.
Am Morgen litt ich Frost. Ich wusch mich unter dem schla-
genden Strahl einer Pumpe und trank ihr eiskaltes Wasser.
Ich hatte Hunger. Der Tag graute. In einem Bäckerladen
brannte ein freundliches Licht. Der warme Geruch von
frischem Brot drang ins Freie, und die Frau des Bäckers
stand behaglich mit bloßen Armen hinter dem Tisch. Ich
wollte kein Bürger sein, aber ich war nicht befreit von
den Vorurteilen meiner Erziehung. Ich schämte mich so
sehr, um eine Semmel zu betteln, daß ich in der Backofen-
wärme des Ladens zitterte und schwieg. Die Bäckerin sah
mich lange an, deutete dann auf ein Plakat, das neben
ihr hing, und sagte, Sie sind vom Theater. Die Semmeln
lagen frisch und knusprig in einem Korb und waren mir
nah. Ich hätte sie greifen können. Ich sagte, ich inszeniere.
Ich sagte es hochmütig. Ich sagte, »Gas«. Ich sagte, von
Kaiser. Diese Antwort, oder wie ich sie gab, schien die
rundliche, gutmütige Frau zu erschrecken. Es war, als ge-
wahrte sie erst jetzt meine außerordentliche Erscheinung,
einen Jungen, verfroren, hungrig, mit überlangen Haaren
und schwarz angezogen wie ein geistlicher Herr. Und wenn
die Bäckerin mich eben noch in wohlwollende Verbindung
mit dem Theaterplakat gebracht hatte, der Werbung für
die »Königin der Nacht«‚ der Operette, in der ich so
erfolgreich debütiert hatte, erkannte sie nun in mir, ge-
warnt durch die Wörter »Gas« und »Kaiser«‚ eine ganz
andere Nachtgestalt, vermutlich des Irrsinns. Sie streckte
abwehrend ihre bloßen Arme, wich gegen die Wand, formte
den Mund zum Schrei, während ich, brennend, errötend,
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