Satzvorlage Seite 036

Satzvorlage für "Jugend" aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach

Archivmappe
Satzvorlage
Absolute Datierung
-
Zuordnung
22
Kopie
nein
Durchschlag
nein
36
Sie öffnete, sie schloß die Tür‚ war im Krankensaal, dem verlassenen,
dem aufgehobenen Lazarett‚ das nur noch ein Geruch war, schon verwest,
auf dem Nesseltuch der leeren Betten die körperlosen Schatten Hinterlassenschaft
aus Schweiß‚ Flecken der Gekreuzigten, die dort gelegen, sich
selbst befriedigt hatten oder nicht, gestorben waren oder
fortgelaufen, meine Mutter kam, mich zu holen, sie zögerte noch
immer, ängstigte sich‚ kam spät‚ kam als letzte‚ kam aus dem
alten Reich das zusammen brach, war das Ende der deutschen Geschichte,
atmete nicht auf‚ sah nicht ins Morgenrot, wartete an der Tär,
ging keinen Schritt weiter. Vielleicht waren die Züge nicht
gefahren‚ die Lokomotiven ohne Kohle geblieben, oder der
königliche Fahrplan hatte der Revolution gedient und dem Rückzug,
die Wagen waren nach Berlin geeilt‚ zum entwichenen Kaiser‚ dem
verwaisten Schloß‚ Matrosen aus Kiel, Kämpfer Kanoniere von den Schlacht-
schiffen, mit Fahnen,mit mit Gewehren‚ mit Blumen geschmücht den
welken Rosen vom August, es war November‚ oder meine Mutter
hatte sich erst das Geld borgen müssen für die unglückliche gefährliche
Reise, und wer hätte es ihr gegeben. Der grüne ärarische Anstrich
der Tür, vor der meine Mutter stand, war mit dem Krieg und der
Zeit gesplittert, die Sprünge lagen weiss in der grünen Fläche
wie das Delta eines mächtigen Stromes aus dem Erdkundebuch,