Satzvorlage Seite 009

Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Jugend. Eine Erinnerung“, in: Merkur 24/1 (1971), 43-58.

Archivmappe
Satzvorlage
Absolute Datierung
-
Zuordnung
Publikation: "Jugend. Eine Erinnerung (Merkur 1971)" 4
Kopie
nein
Durchschlag
nein
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48 Wolfgang Koeppen
zerinnen, die sich vor hohlen Muscheln , in denen das Meer summt , erregen,
den schweren Ritterburgportieren, den getragenen den abgelegten den paraten
Kleidungsstücken, den leeren oder den vollen Wiegen, die Hunnen begehren,
sie fordern Beute, sie singen ein Lied o filia hospitales, Cherusker, Vandalen,
Teutonen, Cimbern, grüne blaue rote gelbe Mützen und die schwarzen Masken
der frischen Wundbinden nach dem blutigen Kampf, scharf schneiden die
Klingen der Mensur, ein neues Pfeifen in der Luft, erstarrt über den ver-
pflasterten Gesichtern, Schmerz tränkt die Haut, tränkt meine Haut, dringt tief
in mein Fleisch, reißt es, daß es klafft, die Wunde bloßliegt, wie Feuer brennt
und wie Brennessel prickelt, der wehe Dunst der Desinfektion weht durch die
Straße, es berauscht mich der helle jenseitige Geruch der alten Anatomie, ein
Regenbogen geht vor mir auf grün rot blau gelb spektral, sein Scheitel steht
über der Universität, verklärt das Denkmal des Gründers, versinkt in den
Kneipen, ich sehe auf den schönen Regenbogen hinunter und blicke zu ihm auf,
hoch aus der spitzen Mansarde, klein aus dem kotigen Rinnstein, und das Volk
gibt es auch, meine Mutter sagt es, Fischweiber , die ihren Karren schieben,
Hurnfisch, Hurnfisch, feuchte Hexen in schwarzen Umschlagtüchern, die drei-
fleckige Katze frißt die grünen Gräten, leckt sich das Maul, eine rosige Zunge,
frische Flunnern, rotbraune glitschigglatte bäumen sich gegen das Schicksal,
Ungeheuer vom Meeresgrund in Kisten zur Schau gestellt, Harings, Harings,
glasig zerläuft das weiße Schmalz in der krustigen Pfanne, sticht in die Nase,
schwebt über der Straße, Mittagsgeruch, Dankopfer, komm Herr Jesus, der
Herr Pastor kommt, spricht Bibelsprüche, Vögel und Lilien auf dem Felde,
Jesus und der Herr Pastor vergeben auch den Sündern, die anderen sind an-
ders, Leute , die eine Stellung ein Gewerbe ein Handwerk eine Arbeit haben,
schließlich die Tagelöhner, Leute , die nichts gelten und Lasten tragen und
Schmutz wegräumen, dann die Bürger, sie stellen schon etwas vor, meine
Mutter sagt es, ich ziehe ergeben meine Mütze, schwenke seiner Majestät
Schiff, mache meinen tiefen Diener vor beleibten hageren rötlichen blassen
kleinen groben gemütlichen polternden immer würdigen immer beleidigten
Männern , die helfen die was hergeben die was anschreiben können die nichts
hergeben und nichts anschreiben wollen, Männer die Vorurteile haben, ver-
nichten, verhungern lassen, meine Mutter fürchtet die Schlangen, aber sie
erschrickt auch vor den Händen den großen Händen den behaarten Händen
den fetten mageren roten beringten Händen, vor Männern, die man sehr bitten
muß, Kolonialwarenhändler Susemihl ein Ballon, ein Globus aus all seinen
Eßwaren, eine marmorierte Weste eine goldene eine schwere eine hängende
Kette, eine Uhr, die er gern betrachtet, eine Uhr mit dem Schnitter Tod, ein
angenehm gruseliges Stundenläuten, und Kleuke , der mit Kohlen wuchert,
ein böser Wintergott, Hüter des Feuers, sitzt in der wohligen Hölle seines
kohlenschwarzen Kontors , ein Dampfer der Hamburg-Amerika-Linie durch-
schneidet über seinem kahlen Schädel die blauen Wogen, ein Bergmann mit