254 Wolfgang Koeppen
protestantischen Altäre, die Kanzeln schulmeisterlicher Prediger, der verlorene
Aufstand begrabener Gewissen, während es in den Gassen ringsum behäbig
nach Abendbrot roch, nach Spickaal, nach Bratkartoffel und Fisch, nach Speck
und Kleiebrot, nach Buchweizengrütze und Klüttegrütt, nach bürgerlicher Be-
scheidung, tückischer Demut, familiärer Niedertracht in Furcht und Enge und
blind in Dummheit, nach der verwelkenden Erinnerung an die armen Helden
des Krieges, nach der konservierten schönen Leiche des Kaiserreichs, dem von
hinten erdolchten pasewalker Kürassier im Köchinnenglanz der roten Biesen
auf weißem Tuch, nach dem Mensurblut der Studenten über den stinkenden
Schurz korporierten Mutes ins Sägemehl der Kneipen gelaufen, nach dem
Blut der von tollwütiger Feme Erschlagenen, ins Torfmoor versenkt, zu den
Hünengräbern getragen, nach Mädchenblut in versteckter Wäsche unter das
Sofa der guten Stube gestopft, nach der Asepsis, dem Eiter, der Anatomie der
Kliniken, dem Schweiß der Kranken, dem Entsetzen der Sterbenden, der Angst
der Examinierten und der schuldig Unschuldigen im Gefängnis ausgeliefert den
Wärtern, nach dem Wahn der Irren in der Heilanstalt hinter den Gleisen und
nach den Witzen die man über sie macht, nach den verfaulten Blumen der
Friedhöfe und dem Tod, den jeder in seiner Brust trägt, nach dem gasenden
Schlick des Wallgrabens und der Abwässer, dem drängenden Atem der Lie-
benden unter dem Gebüsch in den Ruderbooten des Sommers, nach den Ge-
spinsten der Professoren, den toten Herzen der Beamten, dem Staub der Ge-
setze, und dann die Armut der Langen Reihe und der grauen Schule verknö-
cherte Schmach, wie haßte ich die Stadt und wünschte die Schlangen herbei,
eine gleitende Natter um jeden Pfosten, der ein Dach trug, ein Bett und den
tiefen Schlaf all der Gerechten stützte.
Der Park von Putbus und im Hintergrund das Schloß des Fürsten von Putbus,
und das Schloß sieht genau wie das Schloß des Fürsten von Putbus auf der An-
sichtspostkarte aus, die sie am Eingang des Parkes verkaufen, für zehn Pfennig
eine schwarzweiße, nein eine graue nebelfleckige Natur, für zwanzig Pfennig das
weiße Schloß unter azurblauem, fast tropischem Himmel auf einem stechend-
grünen Rasen. Das Schloß ist nicht klein und nicht groß, es ist hell angestrichen
wie mit blendendem Kalk beworfen, es ist ein sehr hübsches weißangestriche-
nes Schloß, und für die Insel Rügen und für Pommern ist es Versailles oder
Sanssouci oder sonst so etwas. Auf dem schwarzen Schieferdach des Schlosses
weht die Standarte des Fürsten, der Schullehrer des Ortes Putbus sagt, das Ban-
ner seiner Hoheit ist gesetzt, die Kurgäste flüstern, der Fürst ist zu Hause. Was
ahnen die Kurgäste? Der Fürst speist von goldenen Tellern, des Fürsten Krone
ist in das Tischtuch gestickt, die Schüsseln, das schwere Besteck tragen des
Fürsten Wappen, der Fürst regiert, aber wen regiert er? der Fürst schläft, er
umarmt die Fürstin, er zeugt den nächsten Fürsten von Putbus, der nicht herr-
protestantischen Altäre, die Kanzeln schulmeisterlicher Prediger, der verlorene
Aufstand begrabener Gewissen, während es in den Gassen ringsum behäbig
nach Abendbrot roch, nach Spickaal, nach Bratkartoffel und Fisch, nach Speck
und Kleiebrot, nach Buchweizengrütze und Klüttegrütt, nach bürgerlicher Be-
scheidung, tückischer Demut, familiärer Niedertracht in Furcht und Enge und
blind in Dummheit, nach der verwelkenden Erinnerung an die armen Helden
des Krieges, nach der konservierten schönen Leiche des Kaiserreichs, dem von
hinten erdolchten pasewalker Kürassier im Köchinnenglanz der roten Biesen
auf weißem Tuch, nach dem Mensurblut der Studenten über den stinkenden
Schurz korporierten Mutes ins Sägemehl der Kneipen gelaufen, nach dem
Blut der von tollwütiger Feme Erschlagenen, ins Torfmoor versenkt, zu den
Hünengräbern getragen, nach Mädchenblut in versteckter Wäsche unter das
Sofa der guten Stube gestopft, nach der Asepsis, dem Eiter, der Anatomie der
Kliniken, dem Schweiß der Kranken, dem Entsetzen der Sterbenden, der Angst
der Examinierten und der schuldig Unschuldigen im Gefängnis ausgeliefert den
Wärtern, nach dem Wahn der Irren in der Heilanstalt hinter den Gleisen und
nach den Witzen die man über sie macht, nach den verfaulten Blumen der
Friedhöfe und dem Tod, den jeder in seiner Brust trägt, nach dem gasenden
Schlick des Wallgrabens und der Abwässer, dem drängenden Atem der Lie-
benden unter dem Gebüsch in den Ruderbooten des Sommers, nach den Ge-
spinsten der Professoren, den toten Herzen der Beamten, dem Staub der Ge-
setze, und dann die Armut der Langen Reihe und der grauen Schule verknö-
cherte Schmach, wie haßte ich die Stadt und wünschte die Schlangen herbei,
eine gleitende Natter um jeden Pfosten, der ein Dach trug, ein Bett und den
tiefen Schlaf all der Gerechten stützte.
Der Park von Putbus und im Hintergrund das Schloß des Fürsten von Putbus,
und das Schloß sieht genau wie das Schloß des Fürsten von Putbus auf der An-
sichtspostkarte aus, die sie am Eingang des Parkes verkaufen, für zehn Pfennig
eine schwarzweiße, nein eine graue nebelfleckige Natur, für zwanzig Pfennig das
weiße Schloß unter azurblauem, fast tropischem Himmel auf einem stechend-
grünen Rasen. Das Schloß ist nicht klein und nicht groß, es ist hell angestrichen
wie mit blendendem Kalk beworfen, es ist ein sehr hübsches weißangestriche-
nes Schloß, und für die Insel Rügen und für Pommern ist es Versailles oder
Sanssouci oder sonst so etwas. Auf dem schwarzen Schieferdach des Schlosses
weht die Standarte des Fürsten, der Schullehrer des Ortes Putbus sagt, das Ban-
ner seiner Hoheit ist gesetzt, die Kurgäste flüstern, der Fürst ist zu Hause. Was
ahnen die Kurgäste? Der Fürst speist von goldenen Tellern, des Fürsten Krone
ist in das Tischtuch gestickt, die Schüsseln, das schwere Besteck tragen des
Fürsten Wappen, der Fürst regiert, aber wen regiert er? der Fürst schläft, er
umarmt die Fürstin, er zeugt den nächsten Fürsten von Putbus, der nicht herr-