MID002-002
Wolfgang Koeppen: „Als ich Gammler war“, in: der literat. Zeitschrift für Literatur und Kunst. Ausgabe 8 August 1970, 148-150.
Ausgesteuerte, Obdachlose, sie waren die Revolution.
Sie standen andersherum als ich. Sie genossen es nicht.
Ein Zug bildete sich, wie von selbst, es hatte kein Sig-
nal und keinen Befehl gegeben, und ich lief hinter
dem Zug dieser erschöpften, hoffnungslosen Gestalten
her, und einer fragte mich, hast du die Karte, und ich
sagte, was für eine Karte, und er schimpfte, die Stem-
pelkarte, was denn sonst, und ich sagte, ich stemple
nicht, und er stieß mich zurück und sagte,, mach, daß
du fortkommst. Es kam Polizei. Die Schupos sprangen
vom Deck ihrer grünen Wagen. Sie schwärmten aus.
Pfiffe gellten. Die Polizisten hoben ihre Knüppel. Sie
Zerstreuten uns. Ich rannte mit den anderen.
Mein Herz bebte. Es schlug hoch. Das war es nun,
ich hatte es gefunden, das wollte ich zeigen, die mo-
ralische Anstalt, das entfesselte Theater, die Straße,
die Hungernden, die Frierenden, die Armen, die Des-
peraten, die rote Fahne, das Lied der Revolte. Ich
ging schneller und für eine Weile wie einer, der ein
Ziel hat. Ich dachte an das Schauspiel „Gas" von
Georg Kaiser. Ich stellte das Drama „Masse Mensch“
von Ernst Toller in erhabene, düstere Kulissen. Auch
der Schlesische Bahnhof war eine Höhle aus Wind und
Ruß und Gekreisch. Er war nicht Babylon. Er war eine
Hölle der Armen, die nicht wußten, wohin.
Gegen Abend war ich in Grünberg. Es war sehr kalt.
Ich suchte das Theater. Ich kam aus dem Schnee. Ich
sah Licht. Ich hörte Gesang. Ich spürte Wärme. Der
Direktor war in karierte Wolle gekleidet. Er sagte,
da sind Sie ja. Er sagte, das ist gut. Irgendeiner war
krank. Er sagte, Sie springen ein. Er sagte, heute in
Salzach. Er sagte, Frack. Ich sah ihn an und dann auf
mein Plaid, in das mein Kamm, ein Hemd und meine
Bücher gewickelt waren; und das war alles. Er sagte,
ach ja, Ihre Koffer sind noch nicht da. Er sagte, schön,
gehen Sie zum Fundus. Ich sagte, „Gas“. Kaiser, sagte
er. Er verzog das Gesicht. Er sagte, lieber Freund. Er
sagte, wir werden sehen.
Sie waren lustig. Sie waren traurig. Sie aßen belegte
Brote. Sie taten gern, was sie taten. Sie taten es nicht
gern. Sie tingelten, sie sangen, sie hüpften. Sie schlie-
fen miteinander. Sie hatten ihre Liebschaften. Sie
fürchteten sich allein in der Nacht. Wir froren im
Bus nach Salzach. Sie hatten Sorgen. Sie kamen mit der
Gage nicht hin. Sie hatten Kinder. Die Kinder wurden
groß. Sie waren nicht unfreundlich. Aber sie waren
nicht meine Leute. Ich verschloß mich ihnen. Ich kroch
in mich hinein.
Sie zogen mir den Frack an, zu groß und unendlich
zu weit, ich war nicht zu sehen in dem Frack, sie
stopften mir ein bretthart gestärktes Vorhemd in die
Weste, sie banden mir einen Kragen und eine Schleife
um, es schlotterte, sie stießen mich auf die Bühne,
da war eine feine Gesellschaft, sie schlürfte Wasser,
die Kelche funkelten, die Münder kreischten, in der
Nacht wenn die Liebe erwacht, die Mädchen kicherten,
einer dirigierte mich zu dem, den ich verhaften wollte,
auch er war im Frack, er saß ihm besser, ich wußte
nicht, was er verbrochen hatte, ich war Kriminal-
kommissar, was ging es mich an, ich streifte ihm
Handschellen über, ich sagte, im Namen des Gesetzes,
ein trauriger Tusch, der Vorhang fiel, ein Rokokopark,
Schäfer und Schäferinnen auf allegorischen Wolken
versöhnten das Gemüt, und alle gratulierten sie mir, sie
sagten, ich hätte es gut gemacht.
Es war keiner mehr da. Die Häuser hatten sie zu
sich genommen, die behäbigen Häuser, die Häuser mit
ihren breiten verschlossenen Türen, die Häuser der
Bürger, die Häuser voll Wärme und Schlaf. Jedes
Licht erlosch. Der Schnee lag ruhig. Der Mond war
aufgegangen. Die Stadt war gemütlich und kalt. Sie
war wie eine Weihnachtskarte. Ich war im Bild.
Ich war ohne Obdach. Ich hatte kein Geld. Das konnte
bestraft werden. Ich fürchtete den Schritt des Poli-
zisten. Nur Frost klirrte. Ich ging durch die Straßen,
lautlos. Ich suchte Zuflucht. Ich fand sie. Ich kletterte
über eine Mauer. Ich war auf dem Friedhof. Ich hatte
Frieden. Ich suchte mir ein Grab. Ich sah die Kreuze,
die Steine, ich las die Totensprüche. Es war die alte
Stadt, die hier schlief. Ein ehrsamer Leineweber.
Er war mir ein milder Wirt. Ich breitete mein Plaid
aus; ich warf die Bücher unter den Kopf. Ich war
einig mit der Welt. Ich wars zufrieden. In Abständen
nahm ich, um mich zu wärmen, das Plaid, legte es
mir auf die Schulter, rannte neben der Friedhofmauer,
zuweilen, auf einem Hügel sie überragend, mit einem
Blick auf die schlafende Stadt. Ich war bei ihren
Ahnen; sie wußten es nicht in ihren Betten. Lachen
schüttelte mich, eine herrliche Heiterkeit. Ich malte
mir aus, daß einer mich sehen könnte, vermummt in
mein Plaid, und daß er erzählen würde, da war ein
Gespenst in der Nacht, es spuckte auf unserem Fried-
hof. Ich war sehr gern ein Gespenst.
Am Morgen litt ich Frost. Ich wusch mich unter dem
schlagenden Strahl einer Pumpe und trank ihr eis-
kaltes Wasser. Ich hatte Hunger. Der Tag graute. In
einem Bäckerladen brannte ein freundliches Licht. Der
warme Geruch von frischem Brot drang ins Freie, und
die Frau des Bäckers stand behaglich mit bloßen Ar-
men hinter dem Tisch. Ich wollte kein Bürger sein,
aber ich war nicht befreit von den Vorurteilen meiner
Erziehung. Ich schämte mich so sehr, um eine Semmel
zu betteln, daß ich in der Backofenwärme des Ladens
zitterte und schwieg. Die Bäckerin sah mich lange an,
deutete dann auf ein Plakat, das neben ihr hing,
und sagte, Sie sind vom Theater. Die Semmeln lagen
frisch und knusprig in einem Korb und waren mir
nah. Ich hätte sie greifen können. Ich sagte, ich insze-
niere. Ich sagte es hochmütig. Ich sagte, „Gas“. Ich
sagte, von Kaiser. Diese Antwort, oder wie ich sie gab,
schien die rundliche, gutmütige Frau zu erschrecken. Es
war, als gewahrte sie erst jetzt meine außerordentliche
Erscheinung, einen Jungen, verfroren, hungrig, mit
überlangen Haaren und schwarz angezogen wie ein
geistlicher Herr. Und wenn die Bäckerin mich eben
noch in wohlwollende Verbindung mit dem Theater-
plakat gebracht hatte, der Werbung für die „Königin
der Nacht“, der Operette, in der ich so erfolgreich de-
bütiert hatte, erkannte sie nun in mir, gewarnt durch
die Wörter „Gas“ und „Kaiser“, eine ganz andere
Nachtgestalt, vermutlich des Irrsinns. Sie streckte ab-
wehrend ihre bloßen Arme, wich gegen die Wand,
formte den Mund zum Schrei, während ich brennend,
errötend, mit einem scharfen Klingeln der Ladentür
floh und davonlief.
Im Theater saß der Direktor in seiner karierten
Wolle auf der Bühne und probte mit seinen Schau-
spielern einen alten Schwank. Er sah mich an. Ist
Ihre Garderobe gekommen? Auch ich sah ihn an, oder
ich wollte ihn ansehen, fest fordernd und schweigend.
Aber mir war schlecht, und alles drehte sich ein wenig.
Er sagte, ich habe keine Rolle für Sie. Er maß meinen
Mantel, den Krimmerkragen, der sich auflöste, meine
zerdrückten Hosen, die ungeputzten Schuhe ich sagte,
ich bin als Regisseur engagiert. Er widersprach, aber
er hob nicht die Stimme. Sie sind gar nicht engagiert.
Ich sagte, „Gas" wird ein Erfolg werden, die Berliner
Zeitungen werden berichten. Ihering und Kerr werden
kommen. Er sagte, sie sind zu jung. Jugend galt nichts.
Sie genoß überhaupt kein Ansehen. Er sagte meine
Künstler . . . Er deutete auf die Schauspieler in der
dämmerigen, von einer einzigen Glühbirne erhellten
Bühne. Ich blickte in die Gesichter von mürrischen
kleinen Beamten, die ihrer Versorgung entgegenleben.
Er sagte, Sie sehen es, die würden sich nichts sagen
lassen, sie könnten Ihre Väter sein. Er war kein Un-
mensch. Er zahlte mir die Reise.
Ich ging, Geld in der Tasche, in den Schwarzen oder
Roten oder Weißen Adler. Ich setzte mich zu ihnen, bei
denen ich geschlafen, den ehrsamen Leinenwebern und
Fabrikanten. Ich bestellte Schlesisches Himmelreich und
Grünberger Wein. Ich war ein junger Herr auf seiner
Bildungsreise. Ich war mit der Kutsche gekommen.
Ich war auf Abenteuer erpicht. Die Honorationen
luden mich in ihr Haus. Sie stellten mich den Töchtern
vor. Weiße Betten. Ich stieg hinein. Da entschloß ich
mich, zur See zu fahren, und Indien war mir nahe.
Die Oder war zugefroren. Die Oderkähne lagen still
und verschneit. Ich fuhr vorbei an den preußischen
Festungen, an Küstrin und Landsberg, an den öden
Exerzierplätzen, an den Stätten der Erniedrigung, die
ich nicht kannte, an den Verstecken der Schwarzen
Reichswehr, an ihren Femegräbern, eingeebnet und
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Sie standen andersherum als ich. Sie genossen es nicht.
Ein Zug bildete sich, wie von selbst, es hatte kein Sig-
nal und keinen Befehl gegeben, und ich lief hinter
dem Zug dieser erschöpften, hoffnungslosen Gestalten
her, und einer fragte mich, hast du die Karte, und ich
sagte, was für eine Karte, und er schimpfte, die Stem-
pelkarte, was denn sonst, und ich sagte, ich stemple
nicht, und er stieß mich zurück und sagte,, mach, daß
du fortkommst. Es kam Polizei. Die Schupos sprangen
vom Deck ihrer grünen Wagen. Sie schwärmten aus.
Pfiffe gellten. Die Polizisten hoben ihre Knüppel. Sie
Zerstreuten uns. Ich rannte mit den anderen.
Mein Herz bebte. Es schlug hoch. Das war es nun,
ich hatte es gefunden, das wollte ich zeigen, die mo-
ralische Anstalt, das entfesselte Theater, die Straße,
die Hungernden, die Frierenden, die Armen, die Des-
peraten, die rote Fahne, das Lied der Revolte. Ich
ging schneller und für eine Weile wie einer, der ein
Ziel hat. Ich dachte an das Schauspiel „Gas" von
Georg Kaiser. Ich stellte das Drama „Masse Mensch“
von Ernst Toller in erhabene, düstere Kulissen. Auch
der Schlesische Bahnhof war eine Höhle aus Wind und
Ruß und Gekreisch. Er war nicht Babylon. Er war eine
Hölle der Armen, die nicht wußten, wohin.
Gegen Abend war ich in Grünberg. Es war sehr kalt.
Ich suchte das Theater. Ich kam aus dem Schnee. Ich
sah Licht. Ich hörte Gesang. Ich spürte Wärme. Der
Direktor war in karierte Wolle gekleidet. Er sagte,
da sind Sie ja. Er sagte, das ist gut. Irgendeiner war
krank. Er sagte, Sie springen ein. Er sagte, heute in
Salzach. Er sagte, Frack. Ich sah ihn an und dann auf
mein Plaid, in das mein Kamm, ein Hemd und meine
Bücher gewickelt waren; und das war alles. Er sagte,
ach ja, Ihre Koffer sind noch nicht da. Er sagte, schön,
gehen Sie zum Fundus. Ich sagte, „Gas“. Kaiser, sagte
er. Er verzog das Gesicht. Er sagte, lieber Freund. Er
sagte, wir werden sehen.
Sie waren lustig. Sie waren traurig. Sie aßen belegte
Brote. Sie taten gern, was sie taten. Sie taten es nicht
gern. Sie tingelten, sie sangen, sie hüpften. Sie schlie-
fen miteinander. Sie hatten ihre Liebschaften. Sie
fürchteten sich allein in der Nacht. Wir froren im
Bus nach Salzach. Sie hatten Sorgen. Sie kamen mit der
Gage nicht hin. Sie hatten Kinder. Die Kinder wurden
groß. Sie waren nicht unfreundlich. Aber sie waren
nicht meine Leute. Ich verschloß mich ihnen. Ich kroch
in mich hinein.
Sie zogen mir den Frack an, zu groß und unendlich
zu weit, ich war nicht zu sehen in dem Frack, sie
stopften mir ein bretthart gestärktes Vorhemd in die
Weste, sie banden mir einen Kragen und eine Schleife
um, es schlotterte, sie stießen mich auf die Bühne,
da war eine feine Gesellschaft, sie schlürfte Wasser,
die Kelche funkelten, die Münder kreischten, in der
Nacht wenn die Liebe erwacht, die Mädchen kicherten,
einer dirigierte mich zu dem, den ich verhaften wollte,
auch er war im Frack, er saß ihm besser, ich wußte
nicht, was er verbrochen hatte, ich war Kriminal-
kommissar, was ging es mich an, ich streifte ihm
Handschellen über, ich sagte, im Namen des Gesetzes,
ein trauriger Tusch, der Vorhang fiel, ein Rokokopark,
Schäfer und Schäferinnen auf allegorischen Wolken
versöhnten das Gemüt, und alle gratulierten sie mir, sie
sagten, ich hätte es gut gemacht.
Es war keiner mehr da. Die Häuser hatten sie zu
sich genommen, die behäbigen Häuser, die Häuser mit
ihren breiten verschlossenen Türen, die Häuser der
Bürger, die Häuser voll Wärme und Schlaf. Jedes
Licht erlosch. Der Schnee lag ruhig. Der Mond war
aufgegangen. Die Stadt war gemütlich und kalt. Sie
war wie eine Weihnachtskarte. Ich war im Bild.
Ich war ohne Obdach. Ich hatte kein Geld. Das konnte
bestraft werden. Ich fürchtete den Schritt des Poli-
zisten. Nur Frost klirrte. Ich ging durch die Straßen,
lautlos. Ich suchte Zuflucht. Ich fand sie. Ich kletterte
über eine Mauer. Ich war auf dem Friedhof. Ich hatte
Frieden. Ich suchte mir ein Grab. Ich sah die Kreuze,
die Steine, ich las die Totensprüche. Es war die alte
Stadt, die hier schlief. Ein ehrsamer Leineweber.
Er war mir ein milder Wirt. Ich breitete mein Plaid
aus; ich warf die Bücher unter den Kopf. Ich war
einig mit der Welt. Ich wars zufrieden. In Abständen
nahm ich, um mich zu wärmen, das Plaid, legte es
mir auf die Schulter, rannte neben der Friedhofmauer,
zuweilen, auf einem Hügel sie überragend, mit einem
Blick auf die schlafende Stadt. Ich war bei ihren
Ahnen; sie wußten es nicht in ihren Betten. Lachen
schüttelte mich, eine herrliche Heiterkeit. Ich malte
mir aus, daß einer mich sehen könnte, vermummt in
mein Plaid, und daß er erzählen würde, da war ein
Gespenst in der Nacht, es spuckte auf unserem Fried-
hof. Ich war sehr gern ein Gespenst.
Am Morgen litt ich Frost. Ich wusch mich unter dem
schlagenden Strahl einer Pumpe und trank ihr eis-
kaltes Wasser. Ich hatte Hunger. Der Tag graute. In
einem Bäckerladen brannte ein freundliches Licht. Der
warme Geruch von frischem Brot drang ins Freie, und
die Frau des Bäckers stand behaglich mit bloßen Ar-
men hinter dem Tisch. Ich wollte kein Bürger sein,
aber ich war nicht befreit von den Vorurteilen meiner
Erziehung. Ich schämte mich so sehr, um eine Semmel
zu betteln, daß ich in der Backofenwärme des Ladens
zitterte und schwieg. Die Bäckerin sah mich lange an,
deutete dann auf ein Plakat, das neben ihr hing,
und sagte, Sie sind vom Theater. Die Semmeln lagen
frisch und knusprig in einem Korb und waren mir
nah. Ich hätte sie greifen können. Ich sagte, ich insze-
niere. Ich sagte es hochmütig. Ich sagte, „Gas“. Ich
sagte, von Kaiser. Diese Antwort, oder wie ich sie gab,
schien die rundliche, gutmütige Frau zu erschrecken. Es
war, als gewahrte sie erst jetzt meine außerordentliche
Erscheinung, einen Jungen, verfroren, hungrig, mit
überlangen Haaren und schwarz angezogen wie ein
geistlicher Herr. Und wenn die Bäckerin mich eben
noch in wohlwollende Verbindung mit dem Theater-
plakat gebracht hatte, der Werbung für die „Königin
der Nacht“, der Operette, in der ich so erfolgreich de-
bütiert hatte, erkannte sie nun in mir, gewarnt durch
die Wörter „Gas“ und „Kaiser“, eine ganz andere
Nachtgestalt, vermutlich des Irrsinns. Sie streckte ab-
wehrend ihre bloßen Arme, wich gegen die Wand,
formte den Mund zum Schrei, während ich brennend,
errötend, mit einem scharfen Klingeln der Ladentür
floh und davonlief.
Im Theater saß der Direktor in seiner karierten
Wolle auf der Bühne und probte mit seinen Schau-
spielern einen alten Schwank. Er sah mich an. Ist
Ihre Garderobe gekommen? Auch ich sah ihn an, oder
ich wollte ihn ansehen, fest fordernd und schweigend.
Aber mir war schlecht, und alles drehte sich ein wenig.
Er sagte, ich habe keine Rolle für Sie. Er maß meinen
Mantel, den Krimmerkragen, der sich auflöste, meine
zerdrückten Hosen, die ungeputzten Schuhe ich sagte,
ich bin als Regisseur engagiert. Er widersprach, aber
er hob nicht die Stimme. Sie sind gar nicht engagiert.
Ich sagte, „Gas" wird ein Erfolg werden, die Berliner
Zeitungen werden berichten. Ihering und Kerr werden
kommen. Er sagte, sie sind zu jung. Jugend galt nichts.
Sie genoß überhaupt kein Ansehen. Er sagte meine
Künstler . . . Er deutete auf die Schauspieler in der
dämmerigen, von einer einzigen Glühbirne erhellten
Bühne. Ich blickte in die Gesichter von mürrischen
kleinen Beamten, die ihrer Versorgung entgegenleben.
Er sagte, Sie sehen es, die würden sich nichts sagen
lassen, sie könnten Ihre Väter sein. Er war kein Un-
mensch. Er zahlte mir die Reise.
Ich ging, Geld in der Tasche, in den Schwarzen oder
Roten oder Weißen Adler. Ich setzte mich zu ihnen, bei
denen ich geschlafen, den ehrsamen Leinenwebern und
Fabrikanten. Ich bestellte Schlesisches Himmelreich und
Grünberger Wein. Ich war ein junger Herr auf seiner
Bildungsreise. Ich war mit der Kutsche gekommen.
Ich war auf Abenteuer erpicht. Die Honorationen
luden mich in ihr Haus. Sie stellten mich den Töchtern
vor. Weiße Betten. Ich stieg hinein. Da entschloß ich
mich, zur See zu fahren, und Indien war mir nahe.
Die Oder war zugefroren. Die Oderkähne lagen still
und verschneit. Ich fuhr vorbei an den preußischen
Festungen, an Küstrin und Landsberg, an den öden
Exerzierplätzen, an den Stätten der Erniedrigung, die
ich nicht kannte, an den Verstecken der Schwarzen
Reichswehr, an ihren Femegräbern, eingeebnet und
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