22.5.1963
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Das Steinbecker Tor ist für welchen Triumph gebaut? Der
illustre Verfasser einer stolzen Geschichte des Menschen, der her-
vorragende Hervorbringer einer erbaulichen Chronik der Welt,
der emsige nimmermüde Erforscher der Historie seiner Heimat, sehr or-
dentlicher Professor, wirklicher Geheimer Rat, Inhaber des
Lehrstuhles, stimmberechtigt in der Königlichen gelehrten
Gesellschaft für Inschriften in Kopenhagen oder in Upsala,
korrespondierendes Mitglied auf der Royal Academy, London,
und des Instutut de France, Paris, Dekan der Fakultät, vor
Jahren Magnifizenz sinnt und sinnt trauert und sinnt hofft an seinem nun
viel zu hoch geschraubten Stehpult, das Alter beugt Rück-rat
und Nacken, das Leben beugt, die Schläge, die Erfahrung, die
Zeit, Gott, auf wackligen Beinen wanken sie beide, der Autor und
sein stummer Knecht, und über ihnen hängen, und mahnen die vollgestopften Re-
gale ,die Friedhöfe des Papier ge- wordenen Den- kens, vollgestopft voll die eigenen Schriften, die studierten Bücher, Auszüge, die Exzerpte Zettel-
kästen, das immer erträumte, das nie geschaffene gewagte Werk, die Ablösung des Widerlegung Dekalogs,
durch ein Entwicklungsgesetz und Staub und Staub, der Pro-
fessor hat keinen schönen Schlafrock an, lebt missachtet im
Haus, sein Ruhm blüht in den Annalen, vom Neid der Kollegen,
vom Spott der Schüler benagt, kleine scharfe Mäusezähne am Rand der Folianten, auch Mäuse- dreck, sein das Gewand ist nahrungsflecken- speisenfleckig
voll, notdurftverschmiert, schnupftabakgebräunt, pfeifenglut-
gesengt, eine Schlafkappe deckt das ehrfurchtgebietende schüt-
tere Haar, der Stoff die Seide mit Blumen bestickt zu Weihnachten oder
zum Jubelfest von der Gattin, der dreissig Jahre lang bitter-
treuen und tief enttäuschten und sehr unverstehenden, oder
von der Tochter, der zu ihm aufblickenden, die es graut,
wenn sie sieht, in seinem Gesicht, was sie wird, und der Vater schliesst die
Augen, denkt, sie wächst heran, das Kind, zwanzig Jahre,
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Das Steinbecker Tor ist für welchen Triumph gebaut? Der
illustre Verfasser einer stolzen Geschichte des Menschen, der her-
vorragende Hervorbringer einer erbaulichen Chronik der Welt,
der emsige nimmermüde Erforscher der Historie seiner Heimat, sehr or-
dentlicher Professor, wirklicher Geheimer Rat, Inhaber des
Lehrstuhles, stimmberechtigt in der Königlichen gelehrten
Gesellschaft für Inschriften in Kopenhagen oder in Upsala,
korrespondierendes Mitglied auf der Royal Academy, London,
und des Instutut de France, Paris, Dekan der Fakultät, vor
Jahren Magnifizenz sinnt und sinnt trauert und sinnt hofft an seinem nun
viel zu hoch geschraubten Stehpult, das Alter beugt Rück-rat
und Nacken, das Leben beugt, die Schläge, die Erfahrung, die
Zeit, Gott, auf wackligen Beinen wanken sie beide, der Autor und
sein stummer Knecht, und über ihnen hängen, und mahnen die vollgestopften Re-
gale ,die Friedhöfe des Papier ge- wordenen Den- kens, vollgestopft voll die eigenen Schriften, die studierten Bücher, Auszüge, die Exzerpte Zettel-
kästen, das immer erträumte, das nie geschaffene gewagte Werk, die Ablösung des Widerlegung Dekalogs,
durch ein Entwicklungsgesetz und Staub und Staub, der Pro-
fessor hat keinen schönen Schlafrock an, lebt missachtet im
Haus, sein Ruhm blüht in den Annalen, vom Neid der Kollegen,
vom Spott der Schüler benagt, kleine scharfe Mäusezähne am Rand der Folianten, auch Mäuse- dreck, sein das Gewand ist nahrungsflecken- speisenfleckig
voll, notdurftverschmiert, schnupftabakgebräunt, pfeifenglut-
gesengt, eine Schlafkappe deckt das ehrfurchtgebietende schüt-
tere Haar, der Stoff die Seide mit Blumen bestickt zu Weihnachten oder
zum Jubelfest von der Gattin, der dreissig Jahre lang bitter-
treuen und tief enttäuschten und sehr unverstehenden, oder
von der Tochter, der zu ihm aufblickenden, die es graut,
wenn sie sieht, in seinem Gesicht, was sie wird, und der Vater schliesst die
Augen, denkt, sie wächst heran, das Kind, zwanzig Jahre,