MID355-M020-062
Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.
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Das Schloß ist nicht klein und nicht groß, es ist hell angestrichen
wie mit blendendem Kalk beworfen, es ist ein sehr hübsches
weißangestrichenes Schloß, und für die Insel Rügen und für
Pommern ist es Versailles oder Sanssouci oder sonst so etwas. Auf
dem schwarzen Schieferdach des Schlosses weht die Standarte des
Fürsten, der Schullehrer des Ortes Putbus sagt, das Banner seiner
Hoheit ist gesetzt, die Kurgäste flüstern, der Fürst ist zu
Hause. Was ahnen die Kurgäste? Der Fürst speist von goldenen
Tellern, des Fürsten Krone ist in das Tischtuch gestickt, die
Schüsseln, das schwere Besteck tragen des Fürsten Wappen, der
Fürst regiert, aber wen regiert er? der Fürst schläft, er umarmt
die Fürstin, er zeugt den nächsten Fürsten von Putbus, der nicht
herrschen, der fallen wird, gemeuchelt unterm Schnee, verscharrt
im Wüstensand, begraben im Eis der Fjorde, versenkt in die Tiefe
des Ozeans. Der alte Fürst liebt eine Mätresse und zeugt einen
Schriftsteller oder einen Minister oder einen Volksverderber oder
einen Hotelbesitzer, aber manche der Einheimischen sagen auch,
ons Först is dood. Der Park ist nach englischer Weise angelegt,
der Fürst oder die Fürstin oder ihre Ahnen oder der Architekt, den
sie bezahlten oder nicht bezahlten, oder irgendwer, der ihr Ohr
erreichte, ein Einflüsterer, ein Schmeichler, ein Bodenspekulant,
vielleicht ein echter Engländer, der homosexuell und emigriert
war und seine Erinnerung an den Hydepark bekämpfte oder pflegte,
vielleicht an einem Knaben mit einem Mädchenteint, oder ein
Milchmädchen milchigen Teints auf den regennassen kurzgeschorenen
Rasen geworfen und vergessen oder nicht vergessen - sie alle
liebten und über alles die Natur. In den weiten Lichtungen sollten
Rehe weiden. Rehe weideten auch dort, kamen zutraulich heran,
ließen sich füttern mit verschimmeltem Brot aus der Hand ihrer
Feinde,
Das Schloß ist nicht klein und nicht groß, es ist hell angestrichen
wie mit blendendem Kalk beworfen, es ist ein sehr hübsches
weißangestrichenes Schloß, und für die Insel Rügen und für
Pommern ist es Versailles oder Sanssouci oder sonst so etwas. Auf
dem schwarzen Schieferdach des Schlosses weht die Standarte des
Fürsten, der Schullehrer des Ortes Putbus sagt, das Banner seiner
Hoheit ist gesetzt, die Kurgäste flüstern, der Fürst ist zu
Hause. Was ahnen die Kurgäste? Der Fürst speist von goldenen
Tellern, des Fürsten Krone ist in das Tischtuch gestickt, die
Schüsseln, das schwere Besteck tragen des Fürsten Wappen, der
Fürst regiert, aber wen regiert er? der Fürst schläft, er umarmt
die Fürstin, er zeugt den nächsten Fürsten von Putbus, der nicht
herrschen, der fallen wird, gemeuchelt unterm Schnee, verscharrt
im Wüstensand, begraben im Eis der Fjorde, versenkt in die Tiefe
des Ozeans. Der alte Fürst liebt eine Mätresse und zeugt einen
Schriftsteller oder einen Minister oder einen Volksverderber oder
einen Hotelbesitzer, aber manche der Einheimischen sagen auch,
ons Först is dood. Der Park ist nach englischer Weise angelegt,
der Fürst oder die Fürstin oder ihre Ahnen oder der Architekt, den
sie bezahlten oder nicht bezahlten, oder irgendwer, der ihr Ohr
erreichte, ein Einflüsterer, ein Schmeichler, ein Bodenspekulant,
vielleicht ein echter Engländer, der homosexuell und emigriert
war und seine Erinnerung an den Hydepark bekämpfte oder pflegte,
vielleicht an einem Knaben mit einem Mädchenteint, oder ein
Milchmädchen milchigen Teints auf den regennassen kurzgeschorenen
Rasen geworfen und vergessen oder nicht vergessen - sie alle
liebten und über alles die Natur. In den weiten Lichtungen sollten
Rehe weiden. Rehe weideten auch dort, kamen zutraulich heran,
ließen sich füttern mit verschimmeltem Brot aus der Hand ihrer
Feinde,