Satzvorlage Seite 097

Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Von Anbeginn verurteilt“, in: Merkur 23/9 (1969), 835-845.

Archivmappe
Satzvorlage
Absolute Datierung
-
Zuordnung
51 Publikation: "Von Anbeginn verurteilt (Merkur 1969)"
Kopie
nein
Durchschlag
nein
97
Von Anbeginn verurteilt 845
drucken zu lassen, die nicht die ihre war und die sie sich mühevoll zusammen-
gebraut hatten, um originellerer Ansicht als der verachtete Gegner zu sein.
Nur im Lob Fräulein Danatas waren sie sich herzlich einig und steigerten sich
wechselseitig zu den überschwenglichsten Hymnen, so daß die Theatergemeinde
allmählich fürchtete, und nur wenige hofften das sogar, daß ein Stern wie Fräu-
lein Danata ihnen nach Berlin verloren gehen könnte. Da kam sie, sie war da,
war großes Theater, herrschte in der finsteren Provinz dieses Foyers, leuchtete
blond, das Fräulein von Lössin, ich glaubte, sie zu erkennen, ihren bornierten
Gang, ihre hochnäsige Haltung, ich folgte ihr zur Mantelabgabe, in einiger
Entfernung, klopfenden Herzens und dringlich zugleich, ich stellte mich ins
Licht, Lohengrin, verkannt und schäbigst gekleidet, hochnäsig auch wie sie,
und dann sah ich, daß die Person, die mich so anzog und erschreckte, schwarze
Haare hatte, fremdländisch schwarz, zigeunerschwarz, so schwarz, daß das
Schwarz blau schimmerte, es war Baudelaires Göttin, die den Mantel ablegte,
das Phantom der Chevelure, nicht sie, das Fräulein vom Bottnischen Meer-
busen, es war nicht zu denken, sie habe sich das Haar gefärbt, den Kamm,
die Bürste in einen Topf voll Lack getaucht und sich Trauer über die hellen
Strähnen gemalt, und doch war sie es, das Fräulein von Lössin, nicht Baude-
laires schwarze Magie, und ich war es, der sie verfremdete, dunkel färbte, in
die Urwälder setzte, sie in die Tropen des Dichters übersetzte, nicht weil ich
sie in solcher Verkleidung erregender gefunden hätte, ihr blondes Haar band
mich fester als das indische Seil, aber vielleicht war meine Täuschung der
Wunsch, daß sie nicht sie selber sei, oder es war ein Versuch, ihren Hochmut
zu brechen, diesen dummen Rittergutsbesitzerstolz, denn schwarz, zigeuner-
haft, tropisch dunkel war sie heimatlos und entkleidet, ein Geschöpf der Ein-
bildung, eine mir verfallene Beute, ich konnte auf sie zugehen, sie in die Arme
schließen, sie auf dem Tisch der Garderobe schwächen, hier unter all den ent-
setzlichen Leuten, aber nein, es brauchte nichts mehr gesagt und getan zu
werden, ich war stumm und bewegungslos, und die Schwarze blieb stumm
und rührte sich nicht, und alle Worte waren tot, und Schweigen allein brachte
uns zusammen, vereinte uns vor dem Theater, wir verschmolzen als die Glocke
zur Vorstellung läutete, der Couloir sich entleerte, und sie ging und sah mich
mich nicht sehend und enteilte mir, da war schon ihr Vetter, das blaue Band
um die Brust, die hellblaue Mütze in der Hand, hoch und vor den Leib ge-
halten, das Corps Pommeriana, der zerhackte verschmißte Mund, ein Georges-
Grosz-Gesicht, das Fräulein von Lössin nahm seinen Arm und war blond und
elfisch auf eine liebliche und sehr unangenehme Weise, ein Wasser- oder Luft-
geist aus nordischer Sage und schon von einer Zukunft bestrahlt, die Frau Land-
rat oder Frau Regierungspräsident hieß und den Vorstand im deutschnatio-
nalen Frauenverein oder im Luisenbund bedeutete, und ich dachte an Flucht
aus dieser Stadt, aus diesem Land, Flucht, Flucht, und ich folgte gehorsam
zum dem Schauspiel.
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