Satzvorlage Seite 094
Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Von Anbeginn verurteilt“, in: Merkur 23/9 (1969), 835-845.
90 94
An anderen Abenden besuchte ich das Theater. Wenn meine Mutter nicht allzu
niedergedrückt war, nannte sie mich einen Premierentiger. Sie mußte diesen
Ausdruck in irgendeinem Buch gelesen haben, und sie gebrauchte ihn mir
gegenüber spöttisch, doch auch mit etwas Verwunderung, in der eine schwache
Hoffnung lag, daß ich mich, sie wußte nicht wie, und es wäre ein Wunder
gewesen, von dem Elend unserer Verhältnisse entpuppen und zu einem hohen
Flug erheben würde. Dieses Wort und die Anschauung meiner Mutter ärgerten
mich. Ich stellte mir eine Vogelscheuche vor wie auf dem Umschlagbild des
»]unggesellen« oder der »Eleganten Welt«, einen Herrn im Frack mit einem
weiß und rot gefütterten Cape, einem Zylinderhut auf brillantineglänzendem
Haar und einem Gesicht, das man nach den Schafen nannte, die dieses Gesicht
niemals zeigten, ein Ignorant, der aus gesellschaftlichen Überlegungen in das
Theater ging, und dieser Gedanke war mir so zuwider, daß ich seinetwegen
An anderen Abenden besuchte ich das Theater. Wenn meine Mutter nicht allzu
niedergedrückt war, nannte sie mich einen Premierentiger. Sie mußte diesen
Ausdruck in irgendeinem Buch gelesen haben, und sie gebrauchte ihn mir
gegenüber spöttisch, doch auch mit etwas Verwunderung, in der eine schwache
Hoffnung lag, daß ich mich, sie wußte nicht wie, und es wäre ein Wunder
gewesen, von dem Elend unserer Verhältnisse entpuppen und zu einem hohen
Flug erheben würde. Dieses Wort und die Anschauung meiner Mutter ärgerten
mich. Ich stellte mir eine Vogelscheuche vor wie auf dem Umschlagbild des
»]unggesellen« oder der »Eleganten Welt«, einen Herrn im Frack mit einem
weiß und rot gefütterten Cape, einem Zylinderhut auf brillantineglänzendem
Haar und einem Gesicht, das man nach den Schafen nannte, die dieses Gesicht
niemals zeigten, ein Ignorant, der aus gesellschaftlichen Überlegungen in das
Theater ging, und dieser Gedanke war mir so zuwider, daß ich seinetwegen