Satzvorlage Seite 089
Satzvorlage für "Jugend" aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Vom Tisch“, in: Text+Kritik 43/1972, 1-13.
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Ich hörte die Schüsse, die Detonation der Handgranaten, entfernt,
über Strassen, Höfe, spitze Dächer, Stadtgärten mit Blumen und Obst,
Echo hallte nach, zerbrach am Himmel, senkte sich wie ein Zelt,
rauschte über mein Bett; sie kämpften am Markt, kämpften in der
Langenstrasse, kämpften am Armenhof, wehrten sich vorm Gewerk-
schaftshaus, sie verloren.
Im photographischen Atelier hatte sich die junge Liebhaberin aufneh—
men lassen, im Glaszelt auf dem Dach, nah dem Himmel die vergilbten weißen Vorhänge
spielten Licht und Schatten, der Meister verkroch sich im schwarzen Sack,
sah die Liebliche kopfstehend, rückte ihr näher mit dem Kasten aus Mes-
sing und Holz, sah sie scharf, ließ den Kuckuck raus, sie hing mit Kirschen
im schwel- lenden Mund unten in seinem Schaukasten, Wolken hinter sich, ein Engel
albernen Gesichtes, des Meisters Stolz, unter den Hochzeitspaaren, er-
starrt in der Furcht des Ehestandes, unter den Konfirmanden in den Alt-
männeranzügen, den zu weiten gestärkten Kragen, einen schwarzen Sarg-
trägerhut in der Hand, die sich verstecken möchte, das unnütze Glied steif
in der kratzenden Hose.
Die Handgranaten hatten das Atelier zersprengt, und im Schaukasten
waren hinter dem zersplitterten Glas den Photographierten die Glieder
weggerissen, manchen der Kopf oder der Arm, und das Mädchen, der En-
gel hatte einen Teil seines Mundes verloren, so daß die Kirschen nun
zwischen den halbierten Lippen wie in einer Wunde hingen und den Aus-
druck der Albernheit ins Gepeinigte verwandelten.
Die Bilder der Schauspieler auf einen Karton geklebt im Schaufenster
des Zigarrengeschäftes: der Mann im Abendcape, das weiße Futter seines
Mantels geschwungen wie Fledermausflügel, das Monokel im Auge, der
Zylinderhut schräg aufgesetzt, einen Stock mit einem goldenen oder sil-
bernen Griff wie zum Taktgeben oder zum Totschlagen erhoben.
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Ich hörte die Schüsse, die Detonation der Handgranaten, entfernt,
über Strassen, Höfe, spitze Dächer, Stadtgärten mit Blumen und Obst,
Echo hallte nach, zerbrach am Himmel, senkte sich wie ein Zelt,
rauschte über mein Bett; sie kämpften am Markt, kämpften in der
Langenstrasse, kämpften am Armenhof, wehrten sich vorm Gewerk-
schaftshaus, sie verloren.
Im photographischen Atelier hatte sich die junge Liebhaberin aufneh—
men lassen, im Glaszelt auf dem Dach, nah dem Himmel die vergilbten weißen Vorhänge
spielten Licht und Schatten, der Meister verkroch sich im schwarzen Sack,
sah die Liebliche kopfstehend, rückte ihr näher mit dem Kasten aus Mes-
sing und Holz, sah sie scharf, ließ den Kuckuck raus, sie hing mit Kirschen
im schwel- lenden Mund unten in seinem Schaukasten, Wolken hinter sich, ein Engel
albernen Gesichtes, des Meisters Stolz, unter den Hochzeitspaaren, er-
starrt in der Furcht des Ehestandes, unter den Konfirmanden in den Alt-
männeranzügen, den zu weiten gestärkten Kragen, einen schwarzen Sarg-
trägerhut in der Hand, die sich verstecken möchte, das unnütze Glied steif
in der kratzenden Hose.
Die Handgranaten hatten das Atelier zersprengt, und im Schaukasten
waren hinter dem zersplitterten Glas den Photographierten die Glieder
weggerissen, manchen der Kopf oder der Arm, und das Mädchen, der En-
gel hatte einen Teil seines Mundes verloren, so daß die Kirschen nun
zwischen den halbierten Lippen wie in einer Wunde hingen und den Aus-
druck der Albernheit ins Gepeinigte verwandelten.
Die Bilder der Schauspieler auf einen Karton geklebt im Schaufenster
des Zigarrengeschäftes: der Mann im Abendcape, das weiße Futter seines
Mantels geschwungen wie Fledermausflügel, das Monokel im Auge, der
Zylinderhut schräg aufgesetzt, einen Stock mit einem goldenen oder sil-
bernen Griff wie zum Taktgeben oder zum Totschlagen erhoben.
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