Satzvorlage Seite 051
Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Jugend. Eine Erinnerung“, in: Merkur 24/1 (1971), 43-58.
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54 Wolfgang Koeppen
ben oder für den Unterseebootbund, er hat mich zu keiner seiner festen An-
schauungen bekehrt.
Der Rektor greift ein Bündel Papier, ein Aktenstück aus einer Lade seines
Schreibtisches, er schlägt den Aktendeckel auf, er blickt mich an, er lächelt nicht,
wie er mich vor sich stehen sieht, er sagt ruhig, daß es nicht nach meinem
Willen gehe, sondern daß meine Mutter mich vom Schulbesuch abmelden
müsse.
Ich meinte, meiner Mutter drohen und ihr zugleich etwas versprechen zu
müssen, damit sie mich aus der Schule nähme, und meine Drohung war, daß
ich im Bett liegen bleiben und nie wieder aufstehen würde, und mein Ver-
sprechen war, daß ich von der Schule befreit, Geld verdienen würde, um ihr
zu helfen. Es wäre aber gar nicht nötig gewesen, meiner Mutter zu drohen
und ihr etwas zu versprechen, denn sie war sich weniger als ich der Bedeutung
dieses Schrittes bewußt und sie war vielleicht, allzu ermüdet vom Kampf um
die Erhaltung unseres Lebens, bereit mich irgendetwas sein zu lassen, das sich
selbst ernähren konnte, nur das, sie war gewillt, wenn auch entgegen der
manchmal und besonders früher ihr erscheinenden Träume über meine Zukunft,
mich etwas werden, mich in einen Stand gleiten zu lassen, auf dessen Angehö-
rige sie als Mädchen, selbst noch als Frau, hochmütig herabgesehen hatte. Sie
begriff nicht, daß ich ohne Standesbewußtsein war, weder zu den einen auf,
noch zu den anderen hinunter blickte, sondern in allen möglichen Daseins-
formen nur Verkleidungen sah, die mir nicht stehen würden. Schließlich aber
glaubten wir beide, als wir darüber sprachen, an meine Behauptung, ich würde
Geld verdienen. Und so meinte ich, in das Leben einzutreten und die Kindheit
abzulegen wie einen unbequemen zu klein gewordenen Mantel.
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54 Wolfgang Koeppen
ben oder für den Unterseebootbund, er hat mich zu keiner seiner festen An-
schauungen bekehrt.
Der Rektor greift ein Bündel Papier, ein Aktenstück aus einer Lade seines
Schreibtisches, er schlägt den Aktendeckel auf, er blickt mich an, er lächelt nicht,
wie er mich vor sich stehen sieht, er sagt ruhig, daß es nicht nach meinem
Willen gehe, sondern daß meine Mutter mich vom Schulbesuch abmelden
müsse.
Ich meinte, meiner Mutter drohen und ihr zugleich etwas versprechen zu
müssen, damit sie mich aus der Schule nähme, und meine Drohung war, daß
ich im Bett liegen bleiben und nie wieder aufstehen würde, und mein Ver-
sprechen war, daß ich von der Schule befreit, Geld verdienen würde, um ihr
zu helfen. Es wäre aber gar nicht nötig gewesen, meiner Mutter zu drohen
und ihr etwas zu versprechen, denn sie war sich weniger als ich der Bedeutung
dieses Schrittes bewußt und sie war vielleicht, allzu ermüdet vom Kampf um
die Erhaltung unseres Lebens, bereit mich irgendetwas sein zu lassen, das sich
selbst ernähren konnte, nur das, sie war gewillt, wenn auch entgegen der
manchmal und besonders früher ihr erscheinenden Träume über meine Zukunft,
mich etwas werden, mich in einen Stand gleiten zu lassen, auf dessen Angehö-
rige sie als Mädchen, selbst noch als Frau, hochmütig herabgesehen hatte. Sie
begriff nicht, daß ich ohne Standesbewußtsein war, weder zu den einen auf,
noch zu den anderen hinunter blickte, sondern in allen möglichen Daseins-
formen nur Verkleidungen sah, die mir nicht stehen würden. Schließlich aber
glaubten wir beide, als wir darüber sprachen, an meine Behauptung, ich würde
Geld verdienen. Und so meinte ich, in das Leben einzutreten und die Kindheit
abzulegen wie einen unbequemen zu klein gewordenen Mantel.
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