MID355-M023-047

Wolfgang Koeppen: „Jugend. Prosa“, Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart 14.11.1969.

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MID355-M023
Absolute Datierung
-
Zuordnung
4 Publikation: "Jugend" (SDR 1969)
Kopie
ja
Durchschlag
nein
- 9 -
Neben den niedrigen Fenstern wuchten Läden aus festem
Holz, Windfänge, Schlagen bei Sturm gegen Mauern und
Scheiben. Die Bewohner zurren das Holz fest, eine see-
männische oder halbseemännische Bevölkerung, keilen das die
Holz Laden fest ein wie Segel auf untergangsnahen Schiffen. Am Abend
rammen sie die Läden Türen zu, nageln sich ein, machen das Haus
Iukendicht, sitzen stolz und furchtsam im Besitz den sie
sichern, Gesindel ist nachts unterwegs. Des Polizisten
Säbel scheppert gegen die Steine, Funken sprühen, spitz
blitzt der Helm, martialisch das treue Wächterauge, der
Bart sträubt sich über dem törichten Mund, die Mode geht
nach der Majestät oder den Tigern, die windroten die
lüttundlüttdunklen Backen wappen über den blauen Uniform-
kragen, der Leib ist ein freundlicher Hafersack. Dieser
Leib, dieser Hafersack! Das Seitengewehr wird aufgepflanzt,
in der Kaserne auf dem Exerzierplatz lernt der Militäran-
wärter bajonettieren, ein Sack gilt für den Leib, ein
rechter Mann kämpft am liebsten Mann gegen Mann für Kaiser
und Vaterland. Manchmal träumt der Polizist, er ist der
Sack. Sonst hat alles seine Ordnung. Die Gaslaterne, schwar-
zes Schmiedeeisen düsterer Rabe, wie ein Galgen an das
Haus geschraubt. Die alte Straßenpumpe aus morschem Holz
ist nicht gestohlen, der Spülstein nicht beschmutzt. Kein
Unfug im Revier. Des Königs Bürger, des Kaisers Untertanen,
des Schusters Kugel zugedeckt, der Tisch des Schneiders
hosenbodenblank. In Schüttes Grünkramkeller keimen die
Kartoffeln, umschlingen mit bleichen Armen in dunkler Be-
gierde die Wruken.