MID355-M020-056
Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.
IS - 16 -
Das ist die Ausdünstung der Macht. Auch Kohlenhändler Kleuke
riecht so. Auch Kaufmann Susemihl. Die alten Rechnungen sind
nicht beglichen. Die neuen Konten werden nicht eröffnet. Der
Rektor fragt mich nach meinem Namen.
Es empört mich, er muß meinen Namen doch kennen, ich gehe in seine
Schule, ich versuche, nicht in seine Schule zu gehen, seine Schule
quält mich, ich hasse sie, ich hasse ihn, und er kennt meinen
Namen nicht. Habe ich einen Namen? Habe ich ihn verloren? Werde
ich mir einen neuen Namen suchen müssen? Es strengt mich an, es
treibt mir den Schweiß auf die Haut, dem Rektor meinen Namen zu
sagen. Der Rektor grunzt, wie irgendein Tier, das mit dem Rüssel
die Erde aufwühlt. Wer weiß, welche Nahrung er sucht. Daß er
einem Tier ähnelt, macht ihn erträglich. Ich hasse den Rektor
lange nicht so sehr, wie ich Herrn Krüger, meinen Klassenlehrer
hasse. Herr Krüger hat mich nie teilnahmslos angesehen. Er hat nie
meinen Namen vergessen. In seinen Augen funkelt das Licht des
Jägers, der die Spur aufgenommen hat und das Wild verfolgt. Ich
bin drei Jahre vor Herrn Krüger geflohen und jetzt hoffe ich, ihm
zu entkommen. Oft schien Herr Krüger mich einzuholen, mich
gefangen zu haben, er wollte mich zu Boden werfen, aber immer
gelang es mir, in ein Revier zu entkommen, das ihm unerreichbar
war. Gestehe, wo bist du, was denkst du, forderte er, seine Lippen
preßten sich zusammen, die bräunlichen Muskeln seiner hageren
Wangen zuckten, und ich sah ihn an, fest, kalkweiß im Gesicht vor
Haß, doch festen Blickes, und schwieg. Herr Krüger hat mich nicht
in seine Herde getrieben, er hat mir nicht den Stempel der
Nützlichkeit in die Haut gebrannt, er hat mich nicht für den
Bismarckbund geworben oder für den Unterseebootbund, er hat mich
zu keiner seiner festen Anschauungen bekehrt.
Das ist die Ausdünstung der Macht. Auch Kohlenhändler Kleuke
riecht so. Auch Kaufmann Susemihl. Die alten Rechnungen sind
nicht beglichen. Die neuen Konten werden nicht eröffnet. Der
Rektor fragt mich nach meinem Namen.
Es empört mich, er muß meinen Namen doch kennen, ich gehe in seine
Schule, ich versuche, nicht in seine Schule zu gehen, seine Schule
quält mich, ich hasse sie, ich hasse ihn, und er kennt meinen
Namen nicht. Habe ich einen Namen? Habe ich ihn verloren? Werde
ich mir einen neuen Namen suchen müssen? Es strengt mich an, es
treibt mir den Schweiß auf die Haut, dem Rektor meinen Namen zu
sagen. Der Rektor grunzt, wie irgendein Tier, das mit dem Rüssel
die Erde aufwühlt. Wer weiß, welche Nahrung er sucht. Daß er
einem Tier ähnelt, macht ihn erträglich. Ich hasse den Rektor
lange nicht so sehr, wie ich Herrn Krüger, meinen Klassenlehrer
hasse. Herr Krüger hat mich nie teilnahmslos angesehen. Er hat nie
meinen Namen vergessen. In seinen Augen funkelt das Licht des
Jägers, der die Spur aufgenommen hat und das Wild verfolgt. Ich
bin drei Jahre vor Herrn Krüger geflohen und jetzt hoffe ich, ihm
zu entkommen. Oft schien Herr Krüger mich einzuholen, mich
gefangen zu haben, er wollte mich zu Boden werfen, aber immer
gelang es mir, in ein Revier zu entkommen, das ihm unerreichbar
war. Gestehe, wo bist du, was denkst du, forderte er, seine Lippen
preßten sich zusammen, die bräunlichen Muskeln seiner hageren
Wangen zuckten, und ich sah ihn an, fest, kalkweiß im Gesicht vor
Haß, doch festen Blickes, und schwieg. Herr Krüger hat mich nicht
in seine Herde getrieben, er hat mir nicht den Stempel der
Nützlichkeit in die Haut gebrannt, er hat mich nicht für den
Bismarckbund geworben oder für den Unterseebootbund, er hat mich
zu keiner seiner festen Anschauungen bekehrt.