BR-HF-27108-Teil2-Seite11
Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.
jh - 11 -
Es ereignete sich etwas, und es ereignete sich ja immer etwas und
unendlich viel, es war einmal und wird sein, das ist unübersehbar,
aber dies betraf mich, nicht andere, obwohl was andere
zerschmettert auch mich vernichtet, oder ich beobachtete etwas, es
ging vor, ich habe es erlebt, ich war Zeuge, es war ein Augenblick,
eine Sekunde, ich könnte annehmen, möchte hoffen, es war ein
bestimmter wenn auch winziger Punkt in der Zeit, ein immerhin zu
lokalisierendes Ereignis im All, und schon weggewischt und wäre
nie gewesen, ruhte es nicht gespeichert in mir, in dem Gedächtnis
irgendeiner Zelle, die ermüden‚ krank, ausgemerzt, veröden, sterben
kann, doch solange ich bin und denke, die furchtbaren Gefahren
überstehe, nicht den Verstand verliere, sind Aufzeichnungen da,
Daten, wie sie es nennen, die hervorgezogen, herbeigerufen werden
können wie auf den jetzt modernen und unheimlichen Maschinen, die
man elektrische Gehirne heißt, da liegt die Erinnerung in einem
unordentlichen verwirrenden Netz, griffbereit, nur wehe, wenn ich
den Schlüssel verloren habe, die Fähigkeit, den Mechanismus zu
bedienen, wenn ich die Taste nicht mehr finde, die Vergangenheit
herbeiruft, sie zur Gegenwart und gar zur Zukunft in unentrinnbare
Beziehung setzt, vielleicht konnte ich nie mit dem umgehen, mit
dem mich die Schöpfung ausstattete, und nur noch zufällig löst
irgendeine ungewollte Erregung ein Bild aus dem Vorrat bewahrter
doch vergessener gleichgültiger Eindrücke und macht es bedeutsam,
wiederholt den längst vergangenen Augenblick, schafft ihn neu oder
täuscht mich darin. Es ist, als betrachte ich eine alte Fotografie.
Ich habe sie aufgenommen; vielleicht bin ich auch aufgenommen
worden. Es ist Mittag. Ein hoher lichtloser Himmel im Januar. Meine
oder ihre Augen von der unsichtbaren Sonne gequält. Ich marterte
sie oder mich. Oder was wollte ich? - - -
Es ereignete sich etwas, und es ereignete sich ja immer etwas und
unendlich viel, es war einmal und wird sein, das ist unübersehbar,
aber dies betraf mich, nicht andere, obwohl was andere
zerschmettert auch mich vernichtet, oder ich beobachtete etwas, es
ging vor, ich habe es erlebt, ich war Zeuge, es war ein Augenblick,
eine Sekunde, ich könnte annehmen, möchte hoffen, es war ein
bestimmter wenn auch winziger Punkt in der Zeit, ein immerhin zu
lokalisierendes Ereignis im All, und schon weggewischt und wäre
nie gewesen, ruhte es nicht gespeichert in mir, in dem Gedächtnis
irgendeiner Zelle, die ermüden‚ krank, ausgemerzt, veröden, sterben
kann, doch solange ich bin und denke, die furchtbaren Gefahren
überstehe, nicht den Verstand verliere, sind Aufzeichnungen da,
Daten, wie sie es nennen, die hervorgezogen, herbeigerufen werden
können wie auf den jetzt modernen und unheimlichen Maschinen, die
man elektrische Gehirne heißt, da liegt die Erinnerung in einem
unordentlichen verwirrenden Netz, griffbereit, nur wehe, wenn ich
den Schlüssel verloren habe, die Fähigkeit, den Mechanismus zu
bedienen, wenn ich die Taste nicht mehr finde, die Vergangenheit
herbeiruft, sie zur Gegenwart und gar zur Zukunft in unentrinnbare
Beziehung setzt, vielleicht konnte ich nie mit dem umgehen, mit
dem mich die Schöpfung ausstattete, und nur noch zufällig löst
irgendeine ungewollte Erregung ein Bild aus dem Vorrat bewahrter
doch vergessener gleichgültiger Eindrücke und macht es bedeutsam,
wiederholt den längst vergangenen Augenblick, schafft ihn neu oder
täuscht mich darin. Es ist, als betrachte ich eine alte Fotografie.
Ich habe sie aufgenommen; vielleicht bin ich auch aufgenommen
worden. Es ist Mittag. Ein hoher lichtloser Himmel im Januar. Meine
oder ihre Augen von der unsichtbaren Sonne gequält. Ich marterte
sie oder mich. Oder was wollte ich? - - -