Erstausgabe (1976) Sequenz 25

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Jugend
Absolute Datierung
-
Zuordnung
25
Kopie
nein
Durchschlag
nein
Ich hatte den Krieg gewonnen, aber es war ärgerlich, sich allein des Sieges zu freuen, wenn alle anderen be<58>teuerten, etwas verloren zu haben: sie wußten nicht recht, was. Gewiß, man sah sie, Unglückliche, denen ein Bein genommen war oder ein Arm oder ein anderes Glied, auch das Gesicht, die Gasvergifteten noch von gelbgrüner Haut, den kleinen Lebensrest aus der zerfressenen Lunge röchelnd, die Verschütteten, die der Tod nicht ließ und immerfort schüttelte, und die Frauen hatten Söhne und Männer und die Kinder Väter nicht wiedergesehen, oder die Kinder hatten die Väter nie gesehen, und mancher hatte auch Besitz hingeben müssen, oder gab ihn nun her, stückweise, nach und nach, das ererbte Haus, die Brosche vom schwarzen Feiertagskleid, den Witwenring, das Münzgold war schon für Eisen gegeben, man hatte ein Dokument an der Wand oder im Schrank verwahrt, der Kaiser bedankte sich für das gespendete Gold, der Kronprinz bedankte sich in schwarzer Husarenuniform, die Mütze schief, den Totenkopf keck, Hindenburg der Eiserne dankte, irgendein Kanzler, nicht Bismarck, nicht der Eiserne, irgendein anderer, die Unterschrift war unleserlich und keiner erinnerte sich an den Namen, günstiger stand es um die gemalte Historie eines Fräulein von Schmettau, das hehre Bild war im Tausch für das abgelieferte Gold empfangen worden, eine junge Dame die sich ihr blondes Haar abgeschnitten hatte, hundert Jahre früher und hundert Jahre Ergriffenheit, geopfert auf dem Altar des Vaterlandes, das war preußisch, sagten alle alten Volksschullehrer, und auch die <59>höheren Lehrer und die ordentlichen und außerordentlichen Professoren der Universität sagten es und trugen die Uhr an der Kette aus Eisen, an dem Band aus kleinen eisernen Kreuzen, statt an der armen oder reichen Kette vom Großvater oder von der Einsegnung her, zu Gott und seinem Wort geführt, sagten die Mütter und hatten stolz auf die Knaben geblickt in den blauen Konfirmationsanzügen, den blauen langen Hosen, den blauen zu großen Männerhüten, den weißen steifen Händen in den weißen steifen Handschuhen, und die erwachsenen Söhne der aufrechten alten Herren trugen die eisernen Kreuze über dem Bauch, der noch immer rund oder spitz war, wovon, ach, von Wrucken oder von Kleiebrot oder dem schwarzgeschlachtetem Schwein, zu schweigen von denen, die außer sich und schreiend behaupteten, die Ehre verloren zu haben, und wenn man vom Weltlauf sprach die grimmigsten Grimassen schnitt, während sie sonst sich wie die anderen benahmen, über dumme Witze und fremden Schaden lachten oder ganz gewöhnlich ernst, traurig, besorgt, hungrig, verliebt, geil, zornig waren, denn das Leben ging weiter, das sagten schließlich alle, eine rechte plumpe Phrase leichthin über die Gräber gesprochen, über die vielen kleinen Kreuze aus Eisen oder aus Holz und auch auf Zeitungspapier bis zum Horizont und noch weit hinter ihm, doch keiner, den ich traf, schien erkannt zu haben, daß er dies alles, Arm Bein Gesicht Vater Gatte Sohn Bruder Hab und Gut selbst <60>die Ehre ja schon am Tag der Kriegserklärung verloren hatte und vier Jahre später nur noch etwas zu gewinnen gewesen war, der Friede: aber sie schätzten den Frieden nicht.