Erstausgabe (1976) Sequenz 07

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Jugend
Absolute Datierung
-
Zuordnung
7
Kopie
nein
Durchschlag
nein
Sie warf die Erde hinab auf den Sarg, auf die Frau, die in dem Sarg lag, und sie, die ihre Mutter beerdigte, sah über die grünen Hecken des Friedhofs die altvertrauten Türme der Stadt, die sie garnicht bedrückten, die sie nicht fliehen wollte, die hohen roten Dächer von Sankt Marie, von Sankt Jakobi, von Sankt Nikolai, und sie erkannte auch das Gaswerk mit seinen schwarzen Gasometern, gleich jenseits der letzten Hecke, nah dem Friedhof, sie roch das Gas und sah es durch einen Schlauch laufen, sah den Schlauch schwellen, eine pralle, sich bäumende Schlange, die in den Ballon lief, die ihn füllte, der dann gelb, sonnengleich, in seinem Netz über der Gondel hing, an seinen Tauen zerrte und schließlich hoch über Dächer und Türme stieg, über dem Land und dem Fluß schwebte, auch über dem Friedhof, bis er langsam zur See hin entwich. Und sie war unten geblieben, auf der Erde gelassen, lief verstört der falschen Sonne nach, rannte durch Straßen und Gassen, irrte über den Wall, unter den alten schattenden, den kuppelnden Bäumen, und der Schrei in ihr <35>wurde nicht laut, sie unterdrückte ihn, er erstickte sie, denn ihr war gewiß, daß sie nun werde flüstern müssen ihr Leben lang, sie faßte es nicht, ertrug es nicht, daß dies ihr Leben war, sie wehrte sich, sie schlug sich, aber es war nicht abzuschütteln, dies was ihr auferlegt war, das Entsetzen das in ihr war, in ihrem Leib wuchs und mit ihr ging und bei ihr blieb und bleiben würde, und überall in der Stadt, auf jeder Straße, hinter jedem Fenster, in allen Stuben waren Augen die sie maßen, Finger die auf sie wiesen, Münder die sie höhnten.