Satzvorlage Seite 059

Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Von Anbeginn verurteilt“, in: Merkur 23/9 (1969), 835-845.

Archivmappe
Satzvorlage
Absolute Datierung
-
Zuordnung
36 Publikation: "Von Anbeginn verurteilt (Merkur 1969)"
Kopie
nein
Durchschlag
nein
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59
Orangenscheiben
die Universität ist für welchen Triumph gebaut? Der weltberühmte Gründer
Stifter Erbauer:
heber: hier stock ich schon. Wie denn? Wo denn? Wer denn? Kein Hund in
Teheran, kein Löwe im Wald, nicht einmal der gedemütigte Gefangene hinter
Gittern in der schmutzigen Menagerie auf unserem Jahrmarkt, kein schwarzer
Mann, kein gelber Bruder, nicht wer weiß wer in der neuen Welt nennt seinen
Namen, und zu schweigen von den weißen Flecken, den buntgekleideten und
den nackten Menschen, den Ungeheuern der Meere, der Länder und der Lüfte
auf Mercators oder Vissers Atlanten. Unnötig, fern zu schweifen. Wer nennt,
ihn hier, den weltberühmten Weisen? Nicht König, Ritter, Bauer, Bettelmann,
vielleicht der Schneider seiner Anzüge, der Schuster seiner Schuhe, Bäcker
seines täglichen Brots. Wohlfeil die Laudatio, kleine gängige Münze in der
Gelehrtenrepublik. Anrüchiger Verein. Natürlich konnten sie stolz sein auf ihre
feine Märtyrertafel: erschlagen, gesteinigt, gekreuzigt, verbrannt, mit Feuer
und Schwert ausgerottet, in Verließe gesperrt, den Giftbecher gereicht, außer
Landes gejagt. Für nichts, für Hirngespinste, eitle Mittagsträume, Fortschritt,
Freiheit, Erkenntnis, Wahrheit, oder was sie dafür hielten. Er ist aber nicht
eingebildet, er läßt sichs gern entgehen. Wes Brot ich esse, des Lied ich singe,
untertan jedweder Obrigkeit, dem Himmel was des Himmels nach Anweisung
des jeweils zuständigen Pontifex, des Landesherren Höchstdero Unterwertester.
Also der weltberühmte Verfasser einer erbaulichen Chronik. Was meint er nur?