MID355-M024-033

Archivmappe
MID355-M024
Absolute Datierung
-
Zuordnung
39
Kopie
nein
Durchschlag
ja
Irgendwer hatte nich beim Vormundschaftsgericht angezeigt,
und ich bekam eine Vorladung zu Tante Martha. Tante Martha
war eine stadtbekannte Persönlichkeit: Er war Amtsgerichtsrat,
die Stadt hatte sich an ihn gewöhht, er wurde toleriert. Die
Studenten hatten ihn Tante Martha genannt, und die Bürger
hatten den Namen übernommen. Tante Martha war groß und hager
und hatte eine große vorspringende Nase. Auf der Straße ver-
suchte der Amtsgerichtsrat immer sich klein zu machen, ging
gebückt wei um sich zu verneigen, sich zu entschuldigen, zu
demütigen. Ein Lächeln aus echter Liebenswürdigkeit und ent-
setzlicher Verlegenheit quälte sein Gesicht. Viele Verwundungen
hatten zu keiner Vernarbung geführt. Tante Martha trippelte
mit schnellen Damenschritten die Stufen zum Gericht empor.
Die rechte Hand schaukelte als höbe sie einen Rock. Zu Hause,
Zuhause, sagten sie säße er in ärmeelosen tief ausgeschnittenen
Kleidern aus Paris. Seine Tür bleib verschlossen. Eine un-
wirsche Wirtschafterin besorgte das Haus. In den Gerichtsferien
reiste er nach Berlin, schlich um die Lokale, deren Adressen
in den Blättern der Freundschaft standen, ängstigte sich sehr,
traute sich nie hinein, huschte weg wenn er angesprochen wurde.