MID355-M024-025

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MID355-M024
Absolute Datierung
-
Zuordnung
39
Kopie
nein
Durchschlag
ja
Ich war beim Vormundschaftsgericht angezeigt worden und be-
kam eine Vorladung zu tante Martha. Tante Martha war eine
stadtbekannte Persönlichkeit und gehörte schon lange zu den
Leuten, die ich beobachtete, denen ich heimlich folgte und
deren Leben ich träumte. Tante Martha war Amtsgerichtsrat.
Die Stadt hatte sich schwer, allmählich und herablassend
an ihn gewahnt. Erst im Alter und als hoher Beamter wurde
er toleriert, was manche skandalös fanden. Die Studenten
sctten ihn schon in seieen Studienjahren Tante Martha ge-
tauft, und die Bürger hatten den Namen mit ihrem Appetit
auf Anfüchiges gierig übernommen. Tante Martha war lang und
hager, hatte jene eine große vorspringende Nase und tief-
liegende traurige Augen hinter dichten Falten. Ich sah ihn
auf der Straße, wie er sich klien machte, gebückt ging,
wie um sich zu verneigen, zu entschuldigen, zu demütigen.
Ein Lächeln aus angeborener Liebenswürdigkeit und entsetzö
licher Verlegenheit verzerrte seine Züge. Verwundungen lagen
offen und blieben unvernarbt. Tante Martha trippeltemit
mit kleinen Damenschritten die Stufen zum Gericht empor.
Die rechte Hand machte eine Bewegung, als höbe sie einen
langen Freuenrock aus dem Schmutz . Zuhause saß er, das