MID355-M023-020

Wolfgang Koeppen: „Jugend. Prosa“, Süddeutscher Rundfunk, Stuttgart 14.11.1969.

Archivmappe
MID355-M023
Absolute Datierung
-
Zuordnung
9 Publikation: "Jugend" (SDR 1969)
Kopie
nein
Durchschlag
ja
- 18 -
(Sprecher:) Mit Bismarck verbinden mich sehr persönliche Erinnerungen.
Wir sind uns ähnlich. Bismarck weinte, er warf sich, der
schwere Leib, auf das Sofa, ich stelle sie mir vor, die
weißen Sofaschoner, die von liebender Hand gestickten
Sofakissen, die von dienender Hand schön gekämmten Sofa-
fransen, und Bismarck weinte. Ich nicht. Sie hatten mir
als Kind und im Namen Bismarcks oder auch eines preußischen
Königs zu oft gesagt: Ein Mann weint nicht. So weine ich
nur, wenn ich Bismarck bin. Ich lernte ihn in meinen
jüngsten Jahren kennen, Bismarck stand auf der Nähmaschine,
oder er stand neben der Nähmaschine, auf der meine Mutter
das Bettzeug eines dieser pommerschen Rittergüter flickte,
Lössin oder Wunkenhagen oder Demeritz, und Bismarck war
aus Erz gegossen, er hatte Schaftstiefel aus reinem Erz an,
er hielt einen Schleppsäbel aus Erz in der erzenen Hand
und auf dem Kopf aus Erz saß ihm ein Adler, auch aus Erz.
Auf einem Helm aus Erz. Diese Figur sah aus als ob sie
mich einschüchtern wollte. Bismarck wog viel, und ich
konnte ihn nicht heben, aber wenn ihn ein Mann richtig
gefaßt hätte, hätte er einen anderen Mann mit ihm tot-
schlagen können. Der Herr von Lössin oder der Herr von
Wunkenhagen oder der von Demeritz tat das nicht. Er hatte
zum Totschlagen einen Spaten. Aber auch mit dem Spaten
schlug der Herr von Lössin oder der Herr von Wunkenhagen oder
der von Demeritz nicht zu. Er hatte zum Totschlagen seine
Leute. Sie hatten auf Lössin oder auf Wunkenhagen oder
auf Demeritz immer Leute gehabt, und selbst nach der Auf-
hebung der preußischen Gesindeordnung und der gutsherr-
lichen Polizeigewalt waren auf Lössin,