MID355-M014-049

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MID355-M014
Absolute Datierung
-
Zuordnung
21 20
Kopie
nein
Durchschlag
nein
Der Kasernenhof war leer. Ein kahles Rechteck, ein getretenes
Stück Erde zwischen den Ziegelbauten der Unterkünfte. Er lag
wie erschrocken da. Der Wind hatte ihn gefegt. Er war sauber.
Er bedrückte und war doch hoffnungsvoll. Er war mir fremd.
Ich will nicht sagen, daß ermir vorher vertraut gewesen ware.
Wie hätte es sein können ? Auf diesem verlassenen, verwehten,
auf diesem immer fahlen Sand hatten Giganten gekämpft. Sie
hatten gegen mich gekämpft. Sie hatten mich gefressen. Zwei
Jahre lang hatten sie die Schlacht gegen mich geschlagen, aber
Gott hatte sich meiner erbarmt, und der Sieg war mir zugefallen:
Ich stand am Fenster des Krankensaales. Ich war wie im Traum.
Das Lazarett/hemd hemmt aus blauweißgestreiftem Nessel fiel mir wie
ein Sack, indem ich fefangen war, über die Füße. Ich war
12 Jahre alt. Ich war kahlgeschworen. Ich war Deutschlands Zu-
kunft. Die Betten standen hinter mir an der gekalkten Wand
wie ein ausgerichtetes Bild. Sie waren vorschriftsmäßig, eckig
kantig, platt. Nur das Bett, in dem ich gelegen hatte, war
zerwühlt. Das holzgarte Kopfkissen, der rauhe Woilach dunstete
nach Fieber. Der Fußboden stank nach Alaun und Stiefelfett.
Ich war allein. Ich hatte gesiegt. An der Wand hingen : der
Kaiser, Hindenburg und Ludendorff. Sie beugten sich über eine
Karte und hatten Großes mit mir vor. Die roten Aufschläge
ihrer Waffenröcke hatten meine Grippe zu lodernden Flammen
entfacht. Aspirin, hatte der Stabsarzt gesagt und war an der
Grippe gestorben. Auch gegen den Stabsarzt hatte mich Gott
beschützt. Über dem Tor der Kaserne wehte die rote Fahne. Sie
wehte regennaß, träge, lustlos im Novemberwind. Natürlich
wehte sie auch grell und verheißungsvoll in der grauen Luft