BR-HF-27108-Teil1-Seite12

Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.

Archivmappe
Original-Manuskript von "Eine Jugend" aus dem BR-Archiv
Absolute Datierung
14.6.1976
Zuordnung
9 Publikation: "Eine Jugend I" (BR 1976)
Kopie
nein
Durchschlag
nein
IS - 12 -
Er hatte zum Totschlagen einen Spaten. Aber auch mit dem Spaten
schlug der Herr von Lössin oder der Herr von Wunkenhagen oder der
von Demeritz nicht zu. Er hatte zum Totschlagen seine Leute. Sie
hatten auf Lössin oder auf Wunkenhagen oder auf Demeritz immer
Leute gehabt, und selbst nach der Aufhebung der preußischen
Gesindeordnung und der gutsherrlichen Polizeigewalt waren auf
Lössin, Wunkenhagen oder Demeritz Leute geboren worden oder
hatten sich Leute angefunden, zum Totschlagen und zu anderem.
Dieses Rittergut, Lössin, oder Wunkenhagen oder Demeritz hatte
meiner Mutter gehört, oder es hatte der Mutter meiner Mutter
gehört, ich habe dies nie so ganz begriffen, man hat es mir zu
oft und immer wieder anders erzählt oder anders verschwiegen,
und meine Mutter war nun gelgentlich mildtätlich Weißnäherin auf
diesen Rittergütern, sie konnte aber gar nicht nähen, wenn man
auch anzunehmen schien, daß eine Frau in ihrer Lage zu nähen
habe, und so flickte sie die Laken aus rohem bäuerlichen Leinen
für eine Mark am Tag, und die große Vergünstigung war, daß sie
mich mitnehmen durfte. So saß ich unter der Nähmaschine und sah
die Füße meiner Mutter, wie sie das Tretwerk der Nähmaschine
traten, und die Bettücher liefen unter der Nadel der Nähmaschine
durch, stiegen auf und fielen und hoben und senkten sich vor
meinem Blick wie der Vorhang einer Bühne, auf der Bismarck auftrat
oder auf der sich ein Schauspieler, der den Bismarck spielte, für
den Applaus bedankte.