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Wolfgang Koeppen: „Eine Jugend“, Regie: Dr. Reinhard Wittmann, Abspieldauer (1): 28'30; Archivnummer BR: HF/27108 – Abspieldauer (2): 27'15; Archivnummer BR: HF/27108 (1976), Bayerischer Rundfunk 1976.

Archivmappe
Original-Manuskript von "Eine Jugend" aus dem BR-Archiv
Absolute Datierung
14.6.1976
Zuordnung
4 Publikation: "Eine Jugend I" (BR 1976)
Kopie
nein
Durchschlag
nein
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und er fürchtet nicht, daß er avancieren wird und ein Oberst und
ein Held sein wird und ein toter noch dazu und in einem
Heldengrab und in Erbfeindsland, es gibt keine Bäume und keine
Maikäfer in der Hunnenstraße, Luftballons fliegen, wer fliegt
nicht mit, wiesengrün strandweiß ackergrau das Land,
unverteidigt die Küste, unruhig die See, der Nebel baut sich sein
Reich, die Türme aus rotem Backstein sind gegen den offenen oder
den verhangenen Himmel gesetzt, Kirchen wie brütende Hennen,
Hünengräber im bestellten Feld, nie erschlagene Riesen,
Kornblumen und Mohn, Buchweizen trotz dem Gewitter,
Buchweizengrütze schwappt mit der Milch über den Teller, Krähen
am Tag, in der Nacht Eulen.
Wie arme kahle Kinderschädel ragen die Hunnenstraßensteine eng
aneinander gestampft aus der Erde, naß oder trocken, warm
kalt, ich spüre die Steine rund und hart unter den durchlaufenen
Sohlen der Schuhe, durch die widerwärtigen kratzenden
Wollstrümpfe, durch die zerrissenen Sommersocken, barfuß glatt
und kühl, es ist eine rumpelige Straße, meiner Haut preßt sie
sich ein, ich bin noch nicht abgehärtet, alles liegt vor mir.
Zum Hafen führt es abwärts, ich hoffe, ich fürchte es geht in die
Welt, fort von der Hunnenstraße, geradenwegs zu den Chinesen, die
sind gelb und tragen lange schwarze Zöpfe, mein Kaiser straft
sie, meinem Kaiser gehören die Schiffe im Hafen, der
Sommerdampfer nach Wiek, der Sonntagsdampfer nach Rügen, die
schweren Kähne mit den Kohlen, den Zuckerrüben, den Kartoffeln,
dem Korn, die Herings- und die Flunderboote mit ihren
rostbraunen Segeln, - - -