Satzvorlage Seite 013

Satzvorlage für "Jugend" aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach

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Satzvorlage
Absolute Datierung
-
Zuordnung
6
Kopie
nein
Durchschlag
nein
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lebten sie endlich glücklich jenseits dieser Grenze von Wohl-
anständigkeit und moralischem Hochmut, die für sie nur das Land
der Armut war, während diese Animierdamen das gute Land der Anständigen hinter
sich gelassen hatten und vielleicht auch die Armut und nun die
knechteten mit Laune, Verweigerung, Betrug und Ausnützung, die
sie knechteten, aber dies zu denken, war schrecklich gefährlich, sie durfte
so niht denken, diese Grenze, an die man sie schon gestellt hatte,
mußte gezogen bleiben, sie wäre sonst verloren gewesen in ihrer
Stadt. Sie hörte seinen Schritt, sie hörte sein stilles Warten
vor der Tür, und während sie auf ihn lauschte und er sie erzürnte
und doch erfreute, dieser Schritt auf der alten knarrenden Treppe,
dieses sein Warten auf den wippenden Bohlen des Treppenabsatzes,
vernahm sie wieder die anderen Schritte, die geschäftigen gleich-
gültigen Tritte der Sargträger, die ihre Mutter hinuntergetragen
hatten, ihre Mutter, die in allem das Unglück gesehen hat und es
immer bejammert und niemals begriffen hatte oder es nicht hatte
begreifen wollen, das all dieses Abwärtsfallen von jenem ersten
Fall herrührte, diesem ihrem verwegenen Sprung in die Freiheit, den
sie getan hatte, blindlings und ohne sich um Freiheit zu kümmern,
sie gebrauchte das Wort Freiheit gar nicht, sie kannte es nicht
in seiner wahren absoluten Bedeutung, und wenn es ihr einer gesagt hätte,
zugerufen hätte in dem Moment, in dem sie aufbrach aus ihrer Ehe, der Familie, dem Her- kommen, Besitz eines Gutes mit all seinen Tieren, dem Acker und den Bäumen, springen
wollte und auch sprang, hätte sie die Auflehnung, die in diesem
Wort lag, nur erschreckt, und vielleicht hätte sie alles gelassen,
das Weggehen, den Sprung, denn es war ihr gepredigt worden, und
sie zweifelte an keines Predigers Wort, dass sich aufzulehnen
Sünde sei, des Teufels Werk, und sie war noch immer des Pastors
Meinung und untertan der Obrigkeit und konform mit der Sitte,
die ihr zugesetzt hatte, aber eswar niemand zu ihr gekommen, der
ihr von Freiheit hätte sprechen und sie erschrecken können,
blindlings lief sie, meinte aus einem Haus in ein anderes zu