Satzvorlage Seite 010

Satzvorlage für „Jugend“ aus dem Siegfried Unseld Archiv (SUA) im Deutschen Literaturarchiv Marbach / Wolfgang Koeppen: „Jugend. Eine Erinnerung“, in: Merkur 24/1 (1971), 43-58.

Archivmappe
Satzvorlage
Absolute Datierung
-
Zuordnung
5 Publikation: "Jugend. Eine Erinnerung (Merkur 1971)" 4
Kopie
nein
Durchschlag
nein
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Jugend 49
der Berglampe an der Bergmütze zeigt zwei Ilsebriketts wie Moses die Ge-
setzestafeln, Fietzens des Wirtes hustender nörgelnder Schatten verlangt seinen
Tribut die Miete für die Mansarde, doch rangieren sie alle in der Achtung , die
man ihnen schuldet , unter den Doktoren, gar den Professoren, selbst dem
Pastor, die aber noch lange nicht so hoch stehen wie die Gutsbesitzer, die im
Paradies geblieben sind , aus dem man uns vertrieben hat, noch auf dem platte-
sten Land auf steiler Höhe, meine Mutter sagt es, die Gutsbesitzer gehören
schon zu den Offizieren, den echten Größen, langer blauer Rock, kein Stäub-
chen, hoher roter Kragen, keine Falte, gerader Mützenschirm oder blanker
Schuppenhelm, ein Fisch, den die Fischfrauen nicht ausrufen und in die Waag-
schale werfen, der Name der Hunnenstraße rührt von den Hunden her, platt-
deutsch, in Pommern.
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deutsch, in Pommern. Feetenbrinks Konzerthaus war ein Palast in der Hunnenstraße, einstöckig wie
die anderen Gebäude, aber eine lange Front, die abends erleuchtet wurde wie
gewöhnliche Häuser nur zu Kaisers Geburtstag mit Siegerkranz und Wonne-
gans und Kerzen in den Fenstern. Das Konzerthaus war der Stolz und die z
Schande der Hunnenstraße, es gab ihr Glanz und Dunkelheit. Alle beobach-
teten, wer zu Feetenbrink ging. Nicht nur alte Weiber hockten hinter den
Fensterspiegeln, diesen wie Periskope oder Polypenaugen auf die Straße hin-
ausgestreckten Spionen und registrierten , was anfiel, speicherten die Daten,
jederzeit bereit, sie wieder auszuspucken, bleich entrüstet, neidgrün verfärbt,
frühe Elektronengehirne.

Die Gutsbesitzerwagen fahren vor, ich bewundere sie, ich streiche drum-
herum, offenen Mundes, Lack funkelt, Leder spiegelt, Schmiere salbt brunnen-
schwarz die Naben der Räder, es näßt es dampft es glänzt der Pferde Fell,
der Hausknecht präsentiert eine unsichtbare Standarte, alter Königinkürassier,
wenn er den Namen Pasewalk nennt oder hört, die Stadt , in der er diente, in
der man ihn kleinkriegte, in der er stramme weiße Hosen trug, sieht er wie
der Trompeter von Thionville aus, wie die Attacke von Mars-la-Tour, und ich
denke an Pasewalker Spritzkuchen, süß leicht und fettig wie eine schwere
gezuckerte Luft, meine Mutter schwärmt von ihnen, aus Pasewalk kommt nichts
Böses, der Hausknecht nimmt die Zügel , die ihm gnädig zugeworfen werden,
er weiß, was erfreut, Herr Rittmeister Herr Hauptmann Herr Oberst Baron
von und zu und auf Klüttegrütt, der Gast, der Gast geehrt, ein breiter Rücken,
ächzt die drei Steinstufen hoch, füllt die Tür, rollt ins Haus, im Winter zottelt
ein Pelz, schneenaß, wälderkalt, im Sommer spannt sich leichtes Tuch über
Schultern und Gesäß, Nanking, klemmt im Schritt, fällt durchschwitzt und
plump über die vollen Ackergängerschenkel, Zigarrenrauch bleibt zurück,
Wolke eines Kanonenschusses, der Knecht schirrt die Pferde aus, reibt und
deckt sie mit wollenem Tuch, faßt sie am Halfter, führt die Geduldigen in den
Stall, ich bin ihnen gefolgt, ich buhle um die Freundschaft der Pferde und ihres
4 Merkur 1971, 1