Erstausgabe (1976) Sequenz 29

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Jugend
Absolute Datierung
-
Zuordnung
29
Kopie
nein
Durchschlag
nein
Ich stehe vor dem Rektor, ich bin ein Körper, ich habe eine Seele, aber ich verliere meine Seele, ich muß aufpassen, daß sie mir nicht entwischt, doch mein Körper hat auch seine Seele, er hat sie neuerdings und mit dieser Seele meines Körpers, die meine andere, meine wahre Seele bedrängt, fühle ich meinen Körper und stehe als Körper in der Welt. Ich trage keine Unterwäsche, obwohl meine Mutter will, daß ich sie anziehe, auch wenn das Hemd und die Unterhose zerrissen sind, ich habe nur meine gestreifte Kieler Bluse an, ich trage sie auf dem nackten Leib und eine kurze blaue Waschhose, ich bin aus diesen Sachen hinausgewachsen, es ist Sommer, doch am liebsten möchte ich auch bei schneidender Kälte mitten im Winter so bloß gehen, mit nackten Bei<71>nen, nackten Schenkeln, um den Frost auf der Haut und mit dem Frost meinen Körper zu fühlen, der sich an den zu engen Nähten der Bluse und der Hose reibt und diese Begrenzung besagt mir, daß ich etwas besitze, mich, und diese Erkenntnis macht mich mächtig, auch über den Rektor. Der Rektor ist ein schwerer Mann. Er trägt sein Haar wie Hindenburg. Er könnte auch Schaftstiefel tragen, einen Küraß und einen Adlerhelm. Er sitzt schwer hinter seinem schweren Schreibtisch, und sieht mich aus kleinen trüben Augen teinahmslos an. Er riecht nach kaltem Zigarrenrauch. Das ist die Ausdünstung der Macht. Auch Kohlenhändler Kleuke riecht so. Auch Kaufmann Susemihl. Die alten Rechnungen sind nicht beglichen. Die neuen Konten werden nicht eröffnet. Der Rektor fragt mich nach meinem Namen.